Berlin (epd). Die Leiterin der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Anna Kaminsky, äußert sich positiv über den Vorstoß Syriens zur Aufklärung der Gräueltaten des Assad-Regimes. „Die Einrichtung der syrischen Aufarbeitungskommission sowie der Kommission für die Suche nach Vermissten sind wichtige Schritte“, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Viele Opfer verbänden damit große Hoffnungen auf Aufklärung und Gerechtigkeit.
Die neue Führung in Syrien hatte am vergangenen Samstag die Einrichtung einer Justizkommission angekündigt. Sie soll die schweren Menschenrechtsverletzungen des früheren Regimes aufarbeiten, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und den Opfern Wiedergutmachung leisten.
Kaminsky mahnte jedoch, die Ergebnisse der Kommissionen abzuwarten und fragte: „Werden alle Verbrechen aller Gruppen auch während des Bürgerkrieges in den Blick genommen oder nur auf das Assad-Regime fokussiert?“ Ausschlaggebend werde der Wille sein, das gesamte Ausmaß aller Verbrechen offenzulegen - auch derjenigen, die nach Ende des Bürgerkrieges begangen wurden, sagte sie.
Der Stiftungsleiterin zufolge fordern zahlreiche Exil-Syrerinnen und -Syrer, die selbst Gewalt erlebt oder Angehörige verloren haben, eine umfassende Aufarbeitung. „Es gibt etwa 130.000 Vermisste und Massengräber im ganzen Land. Der Bedarf nach Aufklärung ist riesig“, sagte sie. Zeit sei ein entscheidender Faktor. „Es braucht unabhängige Stellen, die Dokumente, Zeitzeugenberichte und Bildmaterial sichern“, sagte sie.
„Die Erfahrungen weltweit zeigen: Aufarbeitung braucht vor allem Frieden und ein Mindestmaß an Sicherheit“, betonte Kaminsky. Ebenso sei ein politischer und gesellschaftlicher Konsens darüber nötig, welche Form die Aufarbeitung annehmen könne und solle.
Grundsätzlich müsse jede Gesellschaft ihren eigenen Weg zur Aufarbeitung finden. Gleichzeitig sieht die Stiftungsleiterin Potenzial, dass Syrien von den Erfahrungen anderer Länder profitieren kann - etwa von Deutschland. „Viele autoritäre Systeme nutzen ähnliche Methoden der Unterdrückung. Es gibt Verfolgungen aus politischen Gründen, jahrelange Haft ohne Verfahren und Menschen, die spurlos verschwinden“, sagte sie.
„Zerstörte Leben lassen sich nicht wiedergutmachen“, sagte Kaminsky weiter. Auch wenn Urteile für viele Opfer nicht ausreichend seien, bleibe es essenziell, dass Unrecht benannt und juristisch verfolgt werde. Nur so könne das Leid sichtbar gemacht werden. Aufarbeitung bedeute mehr als juristische Aufklärung - sie umfasse auch kollektives Erinnern. „Gerade in Deutschland haben wir gelernt, wie entscheidend Bildungsarbeit ist, damit Unrecht nicht vergessen wird“, sagte sie.