Ich habe Theologie studiert. Obwohl ich mein Studium abgebrochen habe, um Journalistin zu werden, sollte man meinen, ich wüsste, wie man über Gott und Glauben spricht. Dann wurde ich Mutter, stand vor dem Bett meiner Tochter – und es kam: nichts. Ich fand keine Worte. Wer noch kein Kind hat, stellt sich alles viel einfacher vor: kein Zucker, kein Fernsehen, vorm Essen beten, kuschelnd Bücher lesen.
Wir besitzen fünf Kinderbibeln, doch beim Vorlesen wird nur getobt. Wie betet man mit Babys, mit Kleinkindern? Trotz meines Studiums war ich abends im Alltag nur froh, wenn meine Tochter irgendwie einschlief. Als sie ein halbes Jahr alt war, gingen wir zur Krabbelgruppe meiner Kirche. Dort traf ich die Leiterin Ute Gatz.
Ute Gatz, 60, ist Diakonin für Kinder- und Familienarbeit in der Evangelischen Kirchengemeinde Bühl und leitet unter anderem eine Krabbelgruppe. Ihre Geschichten erzählt sie mit Kostümen, Figuren, Puppen, mit Händen und Füßen und vor allem mit viel Herz. Es gab Lieder, Fingerspiele, Spielsachen, Brezeln, Kaffee. Am Ende: ein Segen, den ich nie vergessen werde. "Fröhlich gehe ich, denn der Herr segnet mich, fröhlich gehe ich, er begleitet mich", sangen wir, während wir im Kreis liefen und winkten. So fröhlich ging ich allerdings nicht, als wir nach über einem Jahr Krabbelgruppe wegzogen und nicht mehr Teil dieser Gruppe waren.
Wie Kinder Glauben erleben
Heute habe ich Ute noch einmal besucht, um sie zu fragen, wie Beten mit den Kleinsten eigentlich geht – mitten im Alltag.
Die Diakonin unterscheidet zwischen persönlichem Gebet und dem mit dem Kind. "Im Gebet fühle ich mich nicht mehr allein, weil ich Gott als treuen Vater an meiner Seite habe. Ich werde getröstet, entlastet, vielleicht entspannter." Sie ist überzeugt: Das spürt auch das Kind. Kleine Kinder nehmen das Allermeiste unterbewusst auf, spüren, ob wir unruhig oder fröhlich sind. Betet ein Elternteil ein Gute-Nacht-Gebet mit dem Kind, zündet vielleicht eine Kerze an und singt, versteht das Kind zwar noch nicht den Inhalt, nimmt aber diesen fast heiligen Moment der Geborgenheit und Präsenz wahr. "Wir stellen damit eine Transzendenz her", sagt Ute. "Ein verbindendes, sinnstiftendes Element, das Kindern Nähe schenkt und beim Älterwerden den Wunsch wecken kann, mehr über Gott zu erfahren."
Wie erklärt man einem Baby oder Kleinkind Gott, wenn das schon für Erwachsene kaum zu greifen ist? "Kinder fragen über sich hinaus", ist sich Ute sicher. "Sie nehmen viel mehr wahr als wir. Dafür sensibel zu bleiben und Interesse zu wecken, ist das Wichtigste." In den ersten Lebensjahren gelingt das am besten über Bilderbücher, Lieder und Geschichten – im Jahreszeitenkreislauf etwa an Ostern und Weihnachten, aber auch die Geschichte vom verlorenen Schaf oder von Jesus, der als Kind verloren ging und von seinen Eltern gesucht wurde. Geschichten, die Kinder emotional erreichen.
Es gibt eine große Auswahl an Bilderbüchern und Materialien, speziell für Kleinkinder. Fünf einfache Glaubenssätze eignen sich für die Kleinsten, die Gott noch nicht in all seiner Tiefe verstehen. Sie spüren, dass da mehr ist – und je älter sie werden, desto mehr kann diese Dimension zur Realität werden.
Die fünf Glaubenssätze für Kinder:
- Gott hat die Welt gemacht.
- Gott hat mich wunderbar gemacht.
- Gott beschützt mich.
- Gott hat mich lieb.
- Gott will mein Freund sein.
Was Eltern tun können
Ich höre Ute gebannt zu. Was sie sagt, macht Sinn. Trotzdem bleibt in meinem Alltag als Mutter Unsicherheit und oft die Frage: Reicht das schon? Was kann ich noch tun? Was darf ich überhaupt alles tun? Ute lacht. Sie weiß als Mutter selbst: "Es ist unrealistisch, mit Baby wirklich jeden Morgen und Abend zu beten."
"Es klappt nicht immer so, wie man es sich vornimmt, egal wie engagiert man ist." Für Ute geht es darum, da zu sein, es immer wieder zu versuchen, kleine Rituale einzuführen und statt eines normalen Bilderbuchs auch mal ein christliches Bilderbuch zu lesen – was, wie sie erzählt, auch nicht immer funktioniert. Ihr Patenkind mochte lieber die Piratengeschichte hören als die vom Schatz im Acker.
"Eltern dürfen sich etwas zutrauen", findet Ute. Es braucht beim Beten keine besonderen Worte. Dem Kind wie einem Freund zu erzählen, was einen bedrückt oder wofür man dankbar ist, reicht. Das Gebet muss nicht einmal mit einem "Amen" enden, und auch ein Seufzen kann schon Gebet sein. "Man darf als Elternteil ruhig auch den Mut haben, sein Kind zu segnen – das ist das Priestertum aller Gläubigen, jeder ist dazu berufen. Gott traut uns da mehr zu, als wir uns selbst." Ute hat das immer gemacht, bevor ihre Tochter zur Schule ging: kurz die Hand auf den Kopf gelegt und gesagt: "Gott segne dich, ich wünsche dir einen guten Tag." Das war ganz kurz – und reicht.
Glaube zum Mitnehmen
Ute erzählt, dass in ihren Gruppen viele Menschen mit Kirche zunächst gar nichts zu tun haben. "Aber sie kommen mit ihren Kindern, weil das Angebot gut ist, und erleben dann: Kirche ist gar nicht so, wie ich dachte." Die Krabbelgruppe ist dabei oft der erste Kontakt.
Utes Kirchengemeinde in Bühl, Baden, leistet sich mit ihrer durch Spenden finanzierten Stelle als Diakonin etwas, das es nicht überall gibt: eine feste Stelle für die Kinder- und Familienarbeit. Es gibt die Krabbelgruppe, Minikirche, Familiengottesdienste und die Kirche Kunterbunt, einen ganzen Nachmittag für Familien. "Wenn wir Kindern schöne Erlebnisse mit Glauben, Beten, Kirche vermitteln und sich das Kind dabei aufgenommen und geborgen fühlt, dann verbindet es auch beim Älterwerden eine schöne Erinnerung und Erfahrung mit Gott", fasst Ute ihre Arbeit zusammen.
Impulse für den Alltag – Rituale, Lieder, Gebete
Ich habe schon einige dieser Angebote besucht und Gemeinschaft erleben dürfen. Damit ich meinen Glauben auch im stressigen Mama-Alltag umsetzen kann, hat Ute mir noch einige Beispiele genannt, die ich gerne teile.
Morgengebete:
"Lasst uns den Tag begrüßen – mit Händen und mit Füßen."
"Ich bin da, du bist da, Gott ist da – alles klar!"
"Ja grüß dich, ja grüß dich,
ja grüß dich, liebe:r (Name),
ich freu mich, dass du da bist – und ich weiß, dass Gott dich liebt."
Tischgebete:
Im Takt von "We Will Rock You":
"Für dich und für mich ist der Tisch gedeckt,
hab Dank, lieber Gott, dass es uns gut schmeckt.
Amen. Amen."
Zur Melodie von "Eine Insel mit zwei Bergen":
"Jedes Tierlein hat sein Essen,
jedes Blümlein trinkt von dir.
Hast auch uns heut nicht vergessen,
lieber Gott, wir danken dir."
Wenn es schnell gehen muss:
"Lieber Gott, segne flott. Amen."
Kinder sollen erleben, dass Essen mehr ist als Sattwerden – es ist ein Moment des Innehaltens und Danks für das Essen, das Miteinander, das Leben.
Abendsegen:
"Ich wünsch dir eine gute Nacht,
dass Gott still über dich wacht."
"Gott segne dich. Ich wünsche dir eine gute Nacht."
Wenn Kinder abends unruhig sind:
"Wir beten jetzt und sagen Gott alles."
Solche Gebete, Segen und Rituale dürfen ruhig kurz sein. Das reicht schon, um zu wissen: Ich darf unter dem Schutz Gottes gehen und beruhigt einschlafen.
Weitere Beispiele aus dem Alltag:
Zu christlichen Liedern wie "Volltreffer", "Einfach spitze", "Weil ich Jesu Schäflein bin", "Vergiss es nie", "Danke für diesen guten Morgen" durch das Wohnzimmer tanzen.
Sich Zeit nehmen und ein Bilderbuch mit biblischen Geschichten vorlesen.
Mit Legofiguren eine Bibelgeschichte nachspielen.
Fingerspiele:
"Eins, zwei, der Herr ist treu.
Drei, vier, er ist bei mir.
Fünf, sechs, sieben, ich will ihn lieben.
Acht, neun, zehn und immer mit ihm geh’n."
"Es geht um die Erfahrung mit dem Heiligen", sagt Ute. Diese Momente sind oft kurz, einfach, spielerisch – sie schaffen Verbindung. Die Erinnerung daran kann bleiben.
Wenn der Glaube mitwächst
Einiges davon habe ich ausprobiert und Utes Abschiedssegen aus der Krabbelgruppe als Abendsegen umgedichtet:
"Friedlich schlafe ich, denn der Herr segnet mich.
Friedlich schlafe ich, er behütet mich."
Mittlerweile darf ich ihn aber nur noch "im Kopf denken", wie meine Tochter sagt. Sie wird älter, verändert sich. Mit ihr verändert sich auch der Glaube. Was bisher Nähe war, braucht jetzt andere Formen. Im nächsten Teil dieser Serie geht es daher um das Beten mit Kindern zwischen drei und sechs Jahren – und um Fragen wie: "Wo wohnt Gott?" oder "Kann ich auch für mein Kuscheltier beten?"
###mehr|terms|Beten mit Kindern und Jugendlichen###