Die Hexen in St. Andreasberg wollten nicht warten. In der Bergstadt im Harz waren Frauen und Mädchen in Hexenkostümen schon am Morgen des 13. April auf den Beinen. Sie stoppten Autofahrer, boten ihnen kleine Hexen- und Teufelsfiguren zum Kauf an und posierten mit ihnen anschließend für ein Selfie. Die Erlöse der Aktion werden für Schminke und Hexenkleidung verwendet, denn auch in St. Andreasberg steht die eigentliche Walpurgisfeier noch bevor.
Dort und in rund 20 weiteren Orten des Mittelgebirges ist am Abend des 30. April wieder der Teufel los. Dann übernehmen Hexen und andere unheimliche Gestalten das Kommando und machen mit Feuern, Festen und Fackelzügen die Nacht zum Tage. Dem Harzer Tourismusverband zufolge wollen wie in den vergangenen Jahren Zehntausende Schaulustige das Spektakel verfolgen.
Hexen und Teufel fliegen oder marschieren unter anderem in Altenau, Bad Grund, Hahnenklee, Schierke, Stolberg und Thale ein. Im "Altenauer Hexenkessel" werde der Winter "mit Hexen- und Teufelsspuk um die mystisch flackernden Feuer" endgültig vertrieben, verspricht die örtliche Kurverwaltung. Auf dem Walpurgis-Programm stehen zudem eine "fulminante Feuershow, das Mai-Begrüßungsfeuerwerk und die Teufelsansprache". Für das leibliche Wohl sorgen höllische Leckerbissen wie Teufelswurst und Hexensteak.
Auf dem Großen Auerberg bei Stolberg kommen am 30. April ebenfalls Hexen und ihr spukendes Gefolge zusammen. Am Fuße des über der Stadt gelegenen Aussichtsturms Josephskreuz, dem größten eisernen Doppelkreuz der Welt, wird mit Einbruch der Dunkelheit ein großes Walpurgisfeuer entzündet. Auch das Bodetal bei Thale soll sich in einen "brodelnden Hexenkessel" verwandeln, wenn die Walpurgisnacht auf dem sagenumwobenen Hexentanzplatz steigt.
Eine Alternative zum Klamauk bietet die Stadt Osterode: Ein geführter Walpurgisnacht-Spaziergang thematisiert hier historisch-spukige Mord- und Totschlagfälle wie den der versehentlich zu Tode gesottenen Mägde im alten Brauhaus oder die aufgebrochenen Särge mit verstreuten Totenschädeln in der Gruft unter der ehemaligen Friedhofskirche.
Nach weit verbreiteter Ansicht geht das heutige Touristenspektakel Walpurgisnacht auf vorchristliche keltische und germanische Bräuche und Aberglauben zurück. In der Nacht zum 1. Mai sollen die Hexen zum Brocken geritten sein, um sich dort am Feuer mit dem Teufel zu paaren. Unterwegs verhexten sie alles, was ihnen in die Quere kam.
Um ihr Vieh zu schützen, hefteten schlaue Bauern Kreuze und Kräuterbüschel an die Stalltüren. Wenn jemand neun Sorten Holz bei sich trug oder auf einem Schemel kniete und betete, mussten die oft als harmlose Reisigsammlerinnen getarnten Hexen dem Volksglauben zufolge ihre wahre Identität preisgeben.
Bereits Goethe schildert in seinem Drama "Faust" sowie in einer Ballade eine Walpurgisnacht. "Die Hexen zu dem Brocken ziehn: Die Stoppel ist gelb, die Saat ist grün. Dort sammelt sich der große Hauf, Herr Urian sitzt oben auf. So geht es über Stein und Stock, Es farzt die Hexe, es stinkt der Bock", reimte einst der Dichter. Esoteriker feiern mit dem Fest, das sie nach irischem Vorbild "Beltane" nennen, bis heute die Fruchtbarkeit, die Vereinigung und Zeugung und den Sieg des Sommers über den Winter.
Der Walpurgis-Kult hat aber auch christliche Ursprünge. So ist der 1. Mai Namenstag der Volksheiligen Walburga. 710 in England geboren, war sie Begründerin des Benediktinerinnen-Klosters im schwäbischen Heidenheim. Nach ihrem Tod am 25. Februar 779 wurden Walburgas Gebeine nach Eichstätt in Bayern gebracht. Aus der Steinplatte, unter der ihre Reliquien ruhen, soll alljährlich eine ölähnliche Flüssigkeit quellen - das Walpurgisöl, das angeblich gegen alle Anfechtungen des Leibes und der Seele gut ist und in kleinen Fläschchen verkauft wird.
Auf dem Brocken im Harz gab es im Jahr 1896 die erste für Touristen organisierte Walpurgisfeier. Ab 1899 konnten die Gäste mit der dampfgetriebenen Brockenbahn den Berg hinauffahren. Aber bereits zwei Jahre später bereitete der damalige Brockenbesitzer, der Fürst von Stolberg-Wernigerode, dem Spektakel per Dekret ein Ende. Felsformationen auf dem Brocken tragen bis heute die Namen "Hexenaltar" und "Teufelskanzel". Nach der deutschen Wiedervereinigung wurde auf dem Brocken wieder mehrmals Walpurgis gefeiert.
Vom Harz aus schwappte der Walpurgis-Brauch in den vergangenen Jahren auch auf andere Gegenden über. Ein beliebter Treffpunkt sind etwa die Externsteine im Teutoburger Wald. Am angeblich beliebtesten "Kraftort" Deutschlands kommen am 30. April viele Menschen zum Feiern oder Innehalten zusammen.