So hat man die Bibel noch nie gesehen!

Bibelclouds machen einen anderen Blick auf die Bibel möglich: Ausschnitt aus der Cloud, die die gesamte Bibel darstellt
Foto aus: Martin Wolters, "Bibelclouds", Patmos Verlag
Bibelclouds machen einen anderen Blick auf die Bibel möglich: Ausschnitt aus der Cloud, die die gesamte Bibel darstellt
So hat man die Bibel noch nie gesehen!
Martin Wolters über sein Buch "Bibelclouds. Die Bibel anders sehen"
"Die Bibel anders sehen" - das will Martin Wolters möglich machen: mit seinem Buch "Bibelclouds", das gerade erschienen ist. Darin hat er sämtliche Bücher der Bibel in sogenannten 'Tagclouds' dargestellt. Im Interview mit evangelisch.de erklärt er, wie das geht, wie er überhaupt auf die Idee kam, warum er das Ganze macht - und weshalb es sich vielleicht lohnen könnte, mal einen Blick auf die Bibel als "Begriffswolke" zu werfen.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, die Bibel in Tagclouds abzubilden?

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Martin Wolters: Es gab eigentlich zwei Auslöser: Zum einen habe ich mich vor einigen Jahren noch einmal ganz intensiv mit meinem eigenen Glauben auseinander gesetzt. Ich wollte den Glauben meiner Kindheit noch einmal hinterfragen und habe mich in der Folge systematisch mit Theologie beschäftigt. Dabei habe ich festgestellt, dass ich mich mit der Bibel eigentlich gar nicht so gut auskenne, wie es wohl angebracht gewesen wäre. Und zum Zweiten bin ich dann im beruflichen Umfeld auf die Anwendung von Tagclouds gestoßen, zum Beispiel bei Präsentationen, zur Auswertung von Umfragen. Und so kam ich auf die Idee, auf die vielleicht nur ein Ingenieur kommen kann: die Bibel einmal ganz systematisch in dieser Darstellungsform aufzuarbeiten.

Wie funktionieren denn eigentlich Tagclouds?

Wolters: Tagclouds sind vor allen Dingen im Zusammenhang mit Blogs und der Bloggerszene bekannt geworden. Sie erleichtern das Bewerten der riesigen Informationsfülle im Internet. Mit ihnen kann ich schneller heraus finden, ob mich das, was an Inhalten auf einer Website angeboten wird, überhaupt interessieren könnte. Denn Tagclouds funktionieren auf eine ganz einfache Weise: Die dahinter stehenden Programme zählen die Wörter in den Inhalten der Website und stellen mittels Algorithmen in einer grafischen 'Wolke' diejenigen, die häufiger genannt werden, größer und fetter dar, diejenigen, die weniger oft vorkommen, kleiner. So kann man auf einen Blick sehen, welche Schlagworte überhaupt vorkommen - und worum es auf der Seite oder in dem Text geht. Die Inhalte werden damit zwar nicht erschöpfend dargestellt, wohl aber werden die zentralen Begriffe ersichtlich – vielleicht vergleichbar mit einer Art Überschrift.

"Ich musste mich systeamtisch mit der Bibel beschäftigen"

Mussten Sie denn bei der Anwendung dieser Technik auf die Bibel auf Besonderheiten achten?

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Wolters: Ja, da gibt es schon eine Reihe von Problemen, die beachtet werden müssen. Die ganzen sogenannten Füllwörter, wie zum Beispiel "und" oder die Artikel, sagen natürlich nichts über den Text aus. Die müssen also heraus gefiltert beziehungsweise dürfen in der Darstellung nicht berücksichtigt werden. Eine weitere Schwierigkeit in der deutschen Sprache ist dann noch die der unterschiedlichen Wortformen, je nach Deklination und Konjugation. Für meine Zwecke habe ich deshalb ein Programm geschrieben, das die Worte auf ihre Grundformen zurück führt, so dass zum Beispiel die beiden Worte "Gott" und "Gottes" bei mir zweimal als "Gott" gezählt wurden. Auch "sagen", "sagte", "sagt" und so weiter wurden alle als "sagen" abgebildet. Und schließlich gibt es auch noch eine weitere Besonderheit, die in der Bibel selbst begründet liegt: Es kommen in den einzelnen Büchern zusammenhängende Begriffe vor, die als solche eine besondere Bedeutung haben. Ein gutes Beispiel hierfür wäre etwa "Tochter Zion". Hier ist es deutlich weniger aussagekräftig, die Wörter "Tochter" und "Zion" einzeln zu zählen und darzustellen. Das gilt auch für ganze Phrasen, wie "So spricht Gott, der Herr" in den Prophetenbüchern. Deswegen habe ich einen weiteren Analyseschritt eingeführt, der auch das berücksichtigt. Auf diese Weise musste ich mich, wie ich schon angedeutet habe, systematisch mit der Bibel beschäftigen. Diese Erkenntnisse sind dann wiederum direkt in die kurzen Einführungstexte eingeflossen, die es zu jeder "Bibelcloud" im Buch gibt - und die auch vollkommenen Laien den Einstieg in die Thematik ermöglichen sollen.

Und wie kam es zu den Farben und Formen der Clouds in der Darstellung?

Das Buch Rut als Tagcloud. Bild: M. Wolters/Patmos Verlag

Wolters: Da habe ich zuerst einmal festgelegt, dass eine Beziehung zwischen Umfang des jeweiligen Bibel-Buches und der Anzahl der dargestellten Wörter bestehen soll. Das heißt, bei einem relativ kurzen Buch, wie zum Beispiel dem Buch "Rut", werden auch nur wenige Wörter in der Cloud dargestellt, bei größeren Büchern, wie zum Beispiel den Psalmen, sind es entsprechend mehr. So bekommt man schon einmal auf den ersten Blick einen Eindruck vom Umfang des jeweiligen Buches. Die Formen, in denen die Worte dann ausgegeben werden, habe ich dann je nach Buch vorgegeben, also zum Beispiel mehr rund - oder mehr horizontal und vertikal ausgerichtet usw. Die Ergebnisse habe ich dann mehrfach ausgewählten Personen, vor allem aus meiner Zielgruppe von jungen Leuten, vorgelegt, und deren Rückmeldungen erneut eingearbeitet. Das Ergebnis war dann sozusagen ein Resultat eines gemeinsamen systematisch-technisch-künstlerischen Prozesses. Bei den Farben habe ich übrigens vor allem darauf geachtet, dass sie für die jeweiligen Worte immer gleich sind. Das heißt, ich finde im ganzen Buch dieselben Begriffe immer in denselben Farben dargestellt, was nach einiger Zeit der Beschäftigung auch so ein bisschen eine "Familiarität" erzeugt und den Zugang erleichtert.

"Es gibt an der ein oder anderen Stelle eine Erweiterung des Blickfelds"

Gab es denn bei der Auswertung auch Diskrepanzen zwischen vorherrschender theologischer Auslegung oder Einordnung des jeweiligen Bibeltextes und dem, was in der Darstellung als Cloud abzulesen war?

Wolters: Nein, Diskrepanzen im Sinne einer gegenläufigen Aussage oder etwas Ähnlichem gab es nicht, wohl aber an der ein oder anderen Stelle eine Erweiterung des Blickfelds oder ein zusätzlicher Seitenaspekt, der bisher noch nicht so sehr - oder schon lange nicht mehr - im Fokus war. Das zumindest habe ich in der letzten Zeit wiederholt als Rückmeldung gerade von Theologen bekommen, was ich natürlich sehr spannend finde.

Grundlage für die Erstellung der "Bibelclouds" war bei Ihnen die Einheitsübersetzung. Warum das?

Wolters: Da gab es tatsächlich sogar schon Kritik, weil die Einheitsübersetzung natürlich theologisch gesehen ihre Schwächen hat, weil sie zum Beispiel nicht konkordant ist. Dafür ist die Einheitsübersetzung - zumindest in der katholischen Kirche - aber doch sehr weit verbreitet. Und da es mir ja in erster Linie darum ging und geht, zum Entdecken, zum Lesen in der Bibel anzuregen, wollte ich das Angebot so niederschwellig wie möglich halten und habe deswegen auf diese populäre Übersetzung zurück gegriffen.

"Eine neue Erkenntnis kann man nur dadurch erreichen, dass man in der Bibel selbst liest"

Würden Sie die "Bibelclouds" als neue Form der Darstellung vielleicht als eine Art neuer "Übersetzung" bezeichnen?

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Wolters: Nein, das ginge dann doch zu weit. Es ist ja so, dass diese Grafiken die Themen der jeweiligen Bücher der Bibel darstellen können, nicht aber ihre Aussagen. Das ist ja ein Unterschied. Es ging mir ja vielmehr darum, den Blick vielleicht auf bestimmte Aspekte lenken zu können, vor allem aber: Interesse zu wecken, insbesondere bei einer jüngeren Zielgruppe, die diese Art der Darstellung im Alltag bereits gewohnt ist. Eine neue Erkenntnis aber kann man wirklich nur dadurch erreichen, dass man in der Bibel selbst liest, denke ich.

Nun kann man mit diesem Buch die Bibel entdecken, neu entdecken, meditieren... Sie machen aber auch Vorschläge für eine kollektive Verwendung. Wie sehen die aus?

Das Matthäus-Evangelium. Bild: M. Wolters / Patmos Verlag

Wolters: Die liegen vor allem Bereich der Fortbildung, des Schul- oder auch Firm- oder Konfirmandenunterrichts, oder der Jugendarbeit. Ich arbeite derzeit mit verschiedenen Institutionen zusammen Konzepte aus, einige Vorschläge habe ich auch schon auf meiner Internetseite zum Buch dargestellt. Ich finde es zum Beispiel sehr spannend, wenn man in einer größeren Gruppe, bei einem Seminar vielleicht, die Grafiken, die ich zu diesem Zweck auch als pdf-Dateien vertreibe, unbenannt ausdruckt. So kann sich jeder Teilnehmer eine davon aussuchen - und dann versuchen, sie gemeinsam in die Reihenfolge der Bibel zu bringen. Da kann ich dann etwa feststellen: Aha, hier taucht häufig das Wort "Jesus" auf, das kann also nur aus dem neuen Testament stammen. Und so kann ich mich dann, auch im moderierten Gespräch, der Bibel als Ganzem annähern.

Im Schulunterricht kann es zum Beispiel sehr interessant sein, dass sich jeder Schüler eine Bibelcloud heraus pickt und dann einmal versucht, mit möglichst vielen der dort auftauchenden Wörter einen eigenen Text zu schreiben - und das dann zu reflektieren. Für junge Menschen, die vor der Firmung oder der Konfirmation stehen, gibt es auch die umgekehrte Möglichkeit: Einen Text zu schreiben, der davon handelt, warum sie sich firmen oder konfirmieren lassen wollen und diesen dann mittels einer kostenlosen Software, wie es sie im Internet gibt, in Form einer Tagcloud ausgeben zu lassen - die sie dann wiederum im Vorstellungsgottesdienst präsentieren können. Eine erste Annäherung an Tagclouds könnte man zuvor machen, indem man auf die gleiche Art beispielsweise populäre Songs aus den Charts als Cloud darstellen lässt. Spannende Möglichkeiten und Ideen gibt es viele...

"Gerade mit religiösen Inhalten beschäftige ich mich tatsächlich nur sehr wenig im Internet"

Warum haben Sie denn eigentlich die 'Bibelclouds' ausgerechnet in der Form des guten alten Buchs veröffentlicht - und nicht etwa als Internetseite oder App?

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Wolters: Das ist wohl in allererster Linie meinem persönlichen Interesse geschuldet, dass ich nun mal Bücher sehr spannend und faszinierend finde. Ich sitze beruflich schon den ganzen Tag vor dem Rechner, das reicht mir. Außerdem hat mich die Arbeit an einem Buch zu mehr Sorgfalt gebracht. Für eine Website hätte ich wohl nicht solch einen Aufwand betrieben. Zudem habe ich begleitend zum Buch ja durchaus auch noch eine kleine Internetseite, eine Facebookseite und eine App gemacht. Und, Sie werden lachen: Gerade mit religiösen Inhalten beschäftige ich mich tatsächlich nur sehr wenig im Internet. Da bin ich altmodisch: Ich sitze lieber in meinem Sessel und lese in einer Zeitung, Zeitschrift - oder eben einem Buch!