TV-Tipp: "Ein starkes Team: Jemma"

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2. Dezember, ZDF, 20:15 Uhr
TV-Tipp: "Ein starkes Team: Jemma"
So kann man einen Krimi auch beginnen: Während ein Autofahrer und ein Radfahrer miteinander diskutieren, weil der eine den anderen angefahren hat, kracht neben ihnen ein Körper auf das Dach eines Lieferwagens.

Zur Verblüffung von Otto Garber und Linett Wachow (Florian Martens, Stefanie Stappenbeck) handelt es sich bei den Bewohnerinnen des unscheinbaren Mietshauses, aus dem der Mann gestürzt ist, um Sexarbeiterinnen. Alles legal und sauber, versichert Hausbesitzer Kalle Rufhus (Maximilian Grill): Er sei weder Zuhälter noch Bordellbetreiber, sondern bloß Vermieter. Die Obduktion ergibt, dass der unfreiwillige Abgang von Maik Thomsen eindeutig kein Unfall war: Der Handwerker ist gestoßen worden, und zwar aus just jenem Fenster, das er reparieren sollte. Es befindet sich in der Wohnung von Jemma Dubnitzki (Vivien Sczesny). Die junge Frau sagt, sie sei unter der Dusche gewesen und habe nichts mitbekommen. 

Trotz des ungewöhnlichen Auftakts deutet zunächst nicht viel darauf hin, dass die 93. Episode des 1994 gestarteten ZDF-Dauerbrenners "Ein starkes Team" ein ziemlich guter Film ist. Allerdings steht Timo Berndt, vielgefragter Autor, der "Die Toten vom Bodensee" geprägt hat und auch bei Reihen wie "Sarah Kohr" und "Ein starkes Team" (alle ZDF) oft beschäftigt ist, zuverlässig für gute Geschichten: Je intensiver sich Garber und Wachow mit dem Umfeld der Titelfigur befassen, desto größer wird die Zahl der Verdächtigen. Außerdem ist Berndt das Kunststück gelungen, tatsächlich bis zur Auflösung offen zu halten, wer Thomsen auf dem Gewissen hat, zumal praktisch alle Beteiligten gute Gründe für eine tödliche Rache hätten. 

Clever öffnet das Drehbuch immer wieder neue Türen zu Nebenebenen, die mehr als die handelsüblichen Ablenkungsmanöver darstellen: Der Handwerker hat das Vermögen der Gattin verzockt und die gemeinsame Firma in den Bankrott getrieben, als er 500.000 Euro in eine dubiose Kryptowährung investierte. Die Frau hat sich daraufhin das Leben genommen; der flammende Zorn von Thomsens Stieftochter Tatjana (Franziska Benz) ist ein offensichtliches Motiv. Allerdings hätte sie noch ein weiteres, wie sich später zeigt, als das Duo vom Berliner LKA rausfindet, dass der Handwerker öfter am Arbeitsplatz der minderjährigen Jemma war, als sich durch seine Reparaturdienste erklären ließe. Die Thomsens und die Dubnitzkis, die vom Gewerbe der Tochter nichts ahnten, sind Nachbarn, der Mann hat das Mädchen aufwachsen sehen; "pervers", kommentiert Garber die Liaison.

Mit den Ausflügen in die heruntergekommene Siedlung, in der die Familien leben, kommen eine weitere Ebene und mit ihr neue Verdächtige ins Spiel, allen voran Jemmas verbitterter Vater (Andreas Anke), der ähnlich wie die Umgebung schon bessere Zeiten gesehen hat; auch er hatte guten Grund, dem Nachbarn zu zürnen. In Thomsens Keller wiederum entdecken Wachow und Garber Fotos und Notizen: Der Handwerker hat regelrecht Buch über das Leben jenes Mannes geführt, dem er sein Geld anvertraut hat. Allerdings handelte es sich nicht bloß um eine halbe Million, sondern um 750.000 Euro. Aber woher kam der Rest? Schließlich stellt sich außerdem raus, dass Vermieter Ruhfus keineswegs so unbescholten ist, wie er sich gibt: Er hat eine Vergangenheit "auf der dunklen Straßenseite". 

Neben Drehbuch und Ensemble ist auch das Handwerk sehenswert (Regie: Patricia Frey). Das gilt nicht nur für die Bildgestaltung (Michael Clayton); der Schnitt (Michael Reysz) ist ebenfalls ausgezeichnet, zumal der Film mehrfach durch überraschende Übergänge erfreut. Es sind ohnehin nicht zuletzt die vielen kleinen Dinge, die die Qualität von "Jemma" ausmachen. Das gilt auch für Drehbucheinfälle wie die Idee mit der durchtriebenen Abzocke des Radfahrers vom Auftakt: Der junge Mann weiß, dass die Besucher des Hauses kein Aufsehen wollen, und lässt sich sein Schmerzensgeld stets in bar auszahlen; bis er mit Team-Mitglied Klöckner (Matthi Faust) an den Falschen gerät.

Amüsant sind zudem die Zwischenspiele mit Jaecki Schwarz: Revierfaktotum und Snack-Lieferant Sputnik muss mit einem neuen Automaten konkurrieren, dessen Kaffee nicht nur "Vertrade" ist, sondern auch besser schmeckt. Erst die Schlusspointe offenbart, dass die Maschine Teil eines Subthemas ist, das sich durch die Handlung zieht und auch rund um die Krypto-Machenschaften zur Sprache kommt: Weil das Netzwerk spinnt, freut sich Teamchef Reddemann (Arnfried Lerche), dass er bei der Digitalisierung des LKA darauf bestanden hat, sein Faxgerät zu behalten.