Der Pfarrer, verdächtig wie die Taliban?

Foto: epd-bild/Jens Schulze
Der Pfarrer, verdächtig wie die Taliban?
Die Toleranz eines evangelischen Pfarrers hört nicht auf, solange es um diejenigen geht, die reden möchten über ihr Menschsein, die Hilfe oder Zuwendung brauchen. Für Martin Diehl hört sie auf, wenn der eigene Standpunkt nicht mehr klar ist und er darum kämpfen muss.

Er sieht aus, als könnte ihn nichts aus der Ruhe bringen. Martin Diehls Gemüt lässt sich nur schwer erregen, vor allem wenn er so dasitzt und zurückgelehnt in seinem Arbeitszimmer an seinem dunklen Holztisch ein Pfeifchen raucht. Bald 25 Jahre lebt er als Pfarrer im hessischen Dorf Egelsbach. 4.000 evangelische Christen gehören zu seiner Gemeinde. 150 davon sitzen sonntags noch im Gottesdienst "und damit bin ich gut bedient", sagt er. Martin Diehl reflektiert über den Bedeutungsverlust der Kirche in der Gesellschaft, über die nur noch marginale Autorität seines Berufsstandes, die damit einhergeht. Er reflektiert, nimmt wahr, hadert nicht.

Ein bunter, hölzerner Hahn links hinter ihm an der Wand kräht ihn stumm an, ein weißer Jesus am Kreuz schaut vom Bücherregal rechts von ihm auf ihn hinab. Berner Sennenhund Hermine hechelt zu ihm hinauf, schlägt ihre treuen braunen Augen nieder.

"Seelenwellness und die mystische Restreligion"

Und dann fallen ihm doch Dinge ein, die seine Duldsamkeit herausfordern. Früher hat der Bürgermeister noch beim Pfarrer gefragt, ob einem verkaufsoffenen Sonntag was im Wege steht. Heute fragt keiner mehr.

Pfarrer Martin Diehl. Foto: Lilith Becker

Dass seine Kirche den verfassungsgemäß geschützten Sonntag nicht einklagen kann, seine Kirche, die für ihn kein Rückgrat hat, das ärgert Pfarrer Martin Diehl "kolossal". "Das tut mir richtig weh", sagt er, "dass diese hohe gesellschaftliche Errungenschaft zum Schutz der Menschen, der Schwachen, der Beziehungen, über Bord geht; diese 3000 Jahre alte Weisheit geht ohne Grund über Bord."

"Gottes Wort ist ein fahrender Platzregen, der sich im Moment nicht über uns ausregnet", sagt Theologieprofessorin Isolde Karle und erinnert damit ein Zitat Luthers. Sie lehrt Praktische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum und beschäftigt sich mit den Auswirkungen gegenwärtiger Kirchenreformprozesse auf die Pfarrerinnen und Pfarrer. Der fahrende Platzregen bedeute, dass der Erfolg christlicher Verkündigung nicht gezielt herbeigeführt werden kann, sondern unverfügbar ist. Die Säkularisierung schreite in Deutschland voran, weshalb blinder Aktivismus nichts bringe. Gelassenheit sei angesagt. Die Ansprüche an die Pfarrer seien enorm gestiegen. Es gebe eine verbreitete Tendenz zur Selbstausbeutung aufgrund von Einsparungen, Fusionen und vakanten Stellen. Einst hätten sich die Pfarrer über ihren Stolz identifiziert, Jesus Christus zu verkündigen. Das sei nicht mehr selbstverständlich. "Pfarrer heute sind eher Dienstleister und müssen Kundenerwartungen erfüllen", sagt Isolde Karle, "Sie haben deshalb oft nicht mehr den Mut, Erwartungen auch mal zu enttäuschen."

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Und die Erwartung, die die Leute haben, die sich auch laut einer EKD-Untersuchung ergeben hat, ist: der Pfarrer soll da sein, wenn man ihn braucht. "Immer da zu sein, gehört zur Profession des Pfarrers", sagt Martin Diehl, "nur so will ich Pfarrer sein.“ Andererseits beschreibt er genau das, was Isolde Karle mit Dienstleister umschreibt, auch wenn er beteuert: "Ich versuche bei Gesprächen zu Taufe, Hochzeit oder Beerdigung immer herauszuspüren, was da ist an religiöser Nachfrage." Was da in der Regel ist an religiöser Nachfrage sei der Wunsch nach "Seelenwellness" und eine "mystische Restreligion" im Sinne von: "der Schutz Gottes kann nicht schaden." Aber das kann Martin Diehl noch nachvollziehen. "Ich finde es ja klasse, wenn die Menschen überhaupt noch etwas von Kirche erwarten."

"Wir wollten keinen Krieg um's Kreuz"

Das eigentliche Problem sei eben das fehlende Rückgrat der evangelischen Kirche. "Kirche traut sich nicht mit dem Kern ihrer Botschaft den Menschen offensiv zu begegnen." Die Menschen wüssten nicht mehr genau, welchen Standpunkt die Kirche habe. Und einen Standpunkt brauche man doch, um gehört zu werden und sich einbringen zu können. "Die Unschärfe des eigenen Standpunkts ist das Grab des Protestantismus", sagt er, doch Martin Diehls Dilemma ist: Er selbst hat festgestellt, dass die Menschen großen Respekt vor der öffentlichen Präsenz von Religion haben. Er hat eine Situation erlebt, in der er "verdächtig wie die Taliban" gewesen sei. Eine erschreckende Erkenntnis, die seine geduldige Seele auf die Probe stellte.

Und zwar ging es um drei Kreuze. Drei mannshohe Holz-Kreuze hatten Kinder der Kinderbibelwoche in den Herbstferien vor zwei Jahren bunt angemalt und an einem See, auf einem Berg und am Waldrand aufgestellt. Das Ordnungsamt hatte zugestimmt. Doch auf Zustimmung trafen die Kreuze dadurch nicht: Das Kreuz am See wurde abgesägt und ins Wasser geworfen. Das Kreuz am Waldrand wurde mit Hakenkreuzen beschmiert. Täter unbekannt. Doch auf die blanken Holzkreuze, die Martin Diehl daraufhin aufstellte, um der "plumpen Gewalt" nicht zu weichen, folgte der Antrag eines Egelsbachers, der die Gemeinde aufforderte, die Holzkreuze zu entfernen, da diese religiösen Zeichen nicht in den öffentlichen Raum gehörten.

Martin Diehl versuchte es damals mit Argumenten: Das M von McDonalds dürfe doch auch die halbe Stadt überstrahlen, "da kann es doch nicht verkehrt sein, der allgegenwärtigen Aufforderung zum Tanz um das Goldene Kalb ein Symbol des barmherzigen und Leben schenkenden Gottes gegenüberzustellen“. Doch der Widerstand war zu groß und "wir wollten keinen Krieg um das Kreuz", sagt Martin Diehl. Nur das Kreuz am Waldrand durfte stehen bleiben und steht dort bis heute.

Der Eventmanager und seine Arbeit am Reich Gottes

"Wir müssen uns immer mehr verbessern und mehr Leistung bringen", sagt Professorin Isolde Karle, die den gesellschaftlichen Druck zur ständigen Selbstoptimierung problematisich findet. Martin Diehl lebt mit diesem Anspruch: "Hey, kommt am Sonntag in die Kirche, wir machen Gottesdienst wie immer", würde er so denken und handeln, säße er er bald alleine in der Kirche, sagt er. Doch die Arbeit am Reich Gottes müsse eben weiter in dieser Welt geschehen.

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Für die Individualisten von heute müsse es ein punktuell angepasstes Programm geben. Besondere Gottesdienstformen für unterschiedliche Zielgruppen müssten es heute sein. Er sei schon sowas wie ein Eventmanager, der ständig "das Rad drehe", sagt Martin Diehl. Der jedoch nicht darüber klagt. Stattdessen veranstaltet er Apfelgottesdienste für Täuflinge, Krabbelgottesdienste für Kleinkinder, versucht bei Veranstaltungen der Ortsvereine präsent zu sein und steht auf Volksfesten am Würstchengrill. Und hat nur wirklich frei, wenn er seinen Ort verlässt und in den Urlaub fährt. Martin Diehl duldet nicht nur, sondern akzeptiert, dass der Platzregen verschwunden ist. Er ist nun eben Eventmanager, ein Pfarrer, der künstlichen Nieselregen erzeugen muss, um das Wort Gottes unter's Volk zu bringen.