TV-Tipp: "Eher fliegen hier Ufos"

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8. November, ARD, 20:15 Uhr
TV-Tipp: "Eher fliegen hier Ufos"
Die Umsiedlungsprozesse rund ums rheinische Braunkohlerevier sind in den letzten zwanzig Jahren immer wieder dokumentiert worden. Die Entwurzelung der Menschen war außerdem Stoff für Krimis, Kurzfilme und sogar einen Kinderfilm; vor einigen Jahren gab es zudem ein Musiktheaterstück ("Verschwindende Orte oder was uns jetzt noch retten kann"). Die Protestaktionen von Umweltbewegungen wie "Ende Gelände" hat die Tagebaugebiete Garzweiler und Hambach international bekannt gemacht. Die Kölner "Tatort"-Kommissare Ballauf und Schenk haben gleich zweimal in der Gegend ermittelt: erst 2005 ("Schürfwunden"), dann im Frühjahr ("Abbruchkante"). Mit dem Drama "Eher fliegen hier Ufos" kehrt der WDR erneut in die Gegend zurück, diesmal allerdings auf ganz besondere Weise. 

Ingo Haeb erzählt die Geschichte der Bäckerfamilie Baumanns, die durch die bevorstehende Umsiedlung zerrissen wird: Marita (Johanna Gastdorf) hat ihrem vor einigen Jahren verstorbenen Mann Franz versprochen, bis zum bitteren Ende auszuharren; auch sein Grab soll bleiben, wo es ist. Schwager Claus (Markus John) mokiert sich zwar über die Nachbarschaft, die anfangs große Töne gespuckt und sich schließlich doch hat kaufen lassen, aber auch er beugt sich samt Ehefrau Irene (Petra Nadolny) der normativen Kraft des Faktischen. Als er die Särge mit den sterblichen Überresten der verblichenen Angehörigen und natürlich auch Franz umbetten lassen will, kommt es zum Bruch mit Marita. 

Haeb, Autor unter anderem von zwei Beiträgen zur "Schnitzel"-Reihe mit Armin Rohde und Ludger Pistor und selbst in Tagebaunähe aufgewachsen, hat die Umsetzung seines Drehbuchs größtenteils Gina Wenzel überlassen; "Eher fliegen hier Ufos" ist ihr Regiedebüt. Der Film dokumentiert das Schicksal der Baumanns über mehrere Jahre hinweg. Die Handlung beginnt 2018. Die Umsiedlung von Niersdorf steht schon fest, der gefräßige Tagebaubagger rückt immer näher; im Nachbarort Immerath wird bereits der imposante Dom abgerissen. Marita fungiert als Erzählerin, indem sie Franz auf dem Laufenden hält.

Haeb hat die Chronik des angekündigten Abschieds fast wie ein Tagebuch und entsprechend episodisch strukturiert: Die Sparkassenfiliale und die Metzgerei sind bereits Vergangenheit, aber die Bäckerei und die Gastwirtschaft gibt es noch; zur Fasnacht ist die Stimmung trotz allem ausgelassen. In unserem Veedel, singen die Bläck Fööss, hält man zusammen, egal, was passiert; doch der Zusammenhalt bröckelt zunehmend. Die Bäckerei ist längst in den roten Zahlen. 

Die Handlung mag fiktiv sein, doch die Begebenheiten sind real. Haeb und Wenzel haben zwar keinen Dokumentarfilm gedreht, aber ihre Figuren wirken gerade auch dank der Besetzung sehr natürlich, zumal die Mitwirkenden auch sprachlich authentisch klingen. Das gilt vor allem für Markus John: Claus fühlt sich zu alt, um anderswo noch mal von vorn anzufangen, und hat keine Lust, für eine Großbäckerei Brötchen aufzuwärmen. Sein Verhalten gerade gegenüber Marita ist verletzend und ungerecht; dank Johns intensivem Spiel ist die Verbitterung jedoch nachvollziehbar und verständlich.

Einzig Tochter Natalie (Merle Wasmuth) macht das Beste aus der Situation und nutzt die Gelegenheit, um ihrem Leben eine konsequente Wende zu geben. Sehr berührend sind auch die Szenen mit der betagten Großmutter, die sich erst recht nicht vorstellen kann, im seelenlosen Neubaugebiet Wurzeln zu schlagen. 

Der ungewöhnliche Titel bezieht sich auf eine von Marita zitierte Bemerkung des Gatten: Eher würden hier Ufos fliegen, als dass der Dom zu Immerath abgerissen werde. Die Aufnahmen, die ihn widerlegen, sind ebenso echt wie die Impressionen einer Demonstration, und auch darin liegt die Besonderheit dieses Films: Haeb hat das Werk als Langzeitprojekt angelegt und bereits mit Gastdorf gedreht, als noch gar nicht klar war, ob der WDR die Produktion überhaupt finanzieren würde. Die Redaktion war offenbar schnell begeistert, obwohl niemand vorhersagen konnte, wohin die Reise gehen würde.

Die Dreharbeiten zogen sich über vier Jahre hin, was das Drama zu einem echten Zeitdokument macht. Die Dorfbilder sind in Keyenberg (Kreis Heinsberg) entstanden, eine dortige Bäckerfamilie diente Haeb als Inspiration. Dass die Geschichte aller Tristesse zum Trotz nicht deprimierend ist, liegt nicht zuletzt an Maritas trockenem Humor und der Art, wie Johanna Gastdorf ihre Rolle interpretiert. Aufschlussreich sind auch die Begegnungen mit den Umweltbewegten, für die Niersdorf bloß eine Fußnote ist; sie wollen schließlich den Planeten retten.