Pixel statt Fleisch und Blut

Avatar-Influencerin Miquela Sousa  auf Laptop
© epd-bild/Heike Lyding
Pro & Contra zu Avataren
Pixel statt Fleisch und Blut
Sie geben Einblick in ihr Privatleben und bewerben Produkte - virtuelle Influencerinnen haben Erfolg. Für Unternehmen sind sie lukrativ, viele Menschen sind von den KI-Avataren fasziniert. Doch Experten sehen darin eine Gefahr für Jugendliche.

Sie trägt zwei Zöpfe, hat Sommersprossen im Gesicht und wenn sie lacht, ist eine kleine Zahnlücke zu sehen. "What’s up homies and haters?", begrüßt die brasilianisch-spanische Influencerin ihre Follower in einem Youtube-Video. Nur auf den ersten Blick sieht Miquela Sousa (Lil Miquela) aus wie eine typische Influencerin, sie ist jung, schlank und hübsch. Auf den zweiten Blick wird klar, dass Lil Miquela kein Mensch ist. Sie ist ein virtuell programmierter Avatar, der einst von dem kalifornischen Start-Up Brud - mittlerweile gehört Brud zum NFT-Pionier DapperLabs - zu Marketing-Zwecken entwickelt wurde. "19-jähriger Roboter, lebt in L. A." steht in ihrem Instagram-Profil.

Und sie ist längst nicht die einzige: Virtuelle Influencer und Influencerinnen wie Imma mit pinkfarbenem Bob oder Shudu, nach Angaben auf ihrem Instagram-Acount das "erste digitale Supermodel", haben eine große Followerschaft. Lil Miquela kommt auf rund 2,7 Millionen Follower bei Instagram.

In einer Studie aus dem Jahr 2022 gaben 58 Prozent der befragten US-Amerikaner an, mindestens einem virtuellen Influencer in den sozialen Netzwerken zu folgen. Erfolgreiche virtuelle Influencer sind in Werbekampagnen großer Marken wie Chanel, Dior oder Calvin Klein zu sehen."Robot-Girl" Lil Miquela hat schon für etliche Marken geworben, zuletzt für die Brillenmode des britischen Modedesigners Alexander McQueen.

"Wenn ein KI-Influencer richtig programmiert ist, verursacht er auch keine Skandale oder gibt Widerworte - außer natürlich, wenn das erwünscht ist. Man hat ihn weitgehend unter Kontrolle", sagt der Medienethiker Oliver Zöllner aus Stuttgart. Die Unternehmen können Image und Wirkung der Influencer-Werbung bestimmen. Und während reale Influencer für ihre Werbedeals gut bezahlt werden, erledigen die virtuellen Kollegen ihre Arbeit, ohne dafür einen Cent zu verlangen. Doch was reizt den privaten Nutzer an den KI-Profilen?

Im Unbeseelten etwas Beseeltes sehen

Virtuelle Influencer seien etwas völlig Neues, sagt Zöllner: "So etwas fasziniert die Menschen." Die Berliner Philosophin Dorothea Winter merkt zudem an, dass die Menschen seit Anbeginn auf der Suche nach einem Gegenüber seien und daher dazu neigen würden, im Unbeseelten etwas Beseeltes zu sehen. Die virtuellen Vorbilder bedienen laut Zöllner mit ihrer äußerlichen Perfektion den Trend der Künstlichkeit, der unter anderem einen negativen Einfluss auf Jugendliche haben könne.

"Die Avatare heben den Schönheits-Druck auf ein neues Level, da sie Makellosigkeit und damit ein völlig unrealistisches Ideal vorleben", kritisiert auch Lea Römer. Sie arbeitet für die Plattform Juuuport.de, die junge Menschen mit Problemen im Netz online berät. "Die virtuellen Influencer können ihre Traumfigur halten, ohne dafür ins Fitnessstudio gehen zu müssen", sagt Römer. Das bediene vor allem die Träume junger Menschen, die sich auf der Suche nach Vorbildern und Orientierung stark vergleichen würden.

Avatare posten Bilder von ihrem Essen oder Urlaub

Ein weiterer kritischer Aspekt: Es bestehe noch keine einheitliche Kennzeichnungspflicht bei bearbeiteten Bildern oder virtuellen Profilen. Daher sind virtuelle Influencer auf den ersten Blick schwerer von realen zu unterscheiden - zumindest auf Fotos. Sie posten Bilder von ihrem Essen, dem Stadtbummel oder dem letzten Urlaub und sprechen öffentlich über ihr vermeintliches Privatleben.

Zwar sei es möglich, Emotionen wie Verbundenheit gegenüber einem KI-generierten Charakter zu fühlen. Doch etwas Entscheidendes fehlt laut dem Medienethiker Zöllner immer: "Eine eigene Persönlichkeit, Identität oder menschliche Wärme." Virtuelle Influencer performten nur das, was ihnen einprogrammiert worden sei. "Deshalb müssen wir uns hüten, etwas Menschliches in sie herein zu lesen. Denn es sind keine Menschen", betont Zöllner.

Wäre Lil Miquela ein Mensch, wäre sie sicher stolz auf ihre Erfolge. Neben ihrem Instagram-Erfolg hat sie bereits mehrere Musik-Singles veröffentlicht. Auf Spotify hören sie monatlich mehr als 200.000 Menschen. Ihr Avatar wird auch genutzt, um sich für gesellschaftspolitische Themen wie Anti-Rassismus starkzumachen oder zum Spenden aufzurufen. Da kann bei den Follower:innen leicht in Vergessenheit geraten, dass es kein persönliches Anliegen ist, welches hinter Lil Miquelas Engagement steckt, sondern eine Firma, die mit einer Strategie ihr Marketingziel erreichen will. "Das ist höchst problematisch", sagt die Philosophin Winter. So würden Leute für einen guten Zweck unbemerkt in eine Richtung gedrängt, die dem Unternehmen zugutekommen solle.

In einem Youtube-Video erzählt Lil Miquela, dass sie für jemanden schwärme. "Es ist neu und verwirrend", beschreibt die virtuelle Influencerin ihr vermeintliches Gefühlsleben. Sie fordert die Follower auf, ihr Ratschläge in der Liebe zu geben, sie selbst sei in dieser Sache "clueless" (Deutsch: ratlos). Vielleicht zum ersten Mal die Wahrheit.