"Der Ort, an dem man heiße Eisen anpackt"

Foto: picture alliance/dpa/Florian Kleinschmidt
Pfarrer Gregor Hohberg (St.Petri-St.Marien), Rabbiner Tovia Ben-Chorin (jüdische Gemeinde Berlin), Imam Kadir Sanci und Erkan Karakoyun (Geschäftsführer des Forums interkultureller Dialog e.v.) mit dem Gewinner-Entwurf.
"Der Ort, an dem man heiße Eisen anpackt"
Auf dem Petri-Platz in Berlin-Mitte entsteht das erste multireligiöse Bet- und Lehrhaus. Die drei monotheistischen Religionen Judentum, Islam und Christentum haben es gemeinsam konzipiert. Die Initiatoren wollen dem Bedürfnis nach einem Miteinander von Menschen unterschiedlicher religiöser Glaubensrichtungen gerecht werden.

Es ist der Ur-Ort der heutigen Metropole Berlin. Im Jahr 1237 wurde der Pfarrer der Petri-Kirche im damaligen "Cölln" erstmals urkundlich erwähnt – bis heute gilt er als erster Berliner. Wer heute am Petri-Platz unweit des Roten Rathauses steht, blickt auf eine Brachfläche. Das DDR-Regime hatte die evangelische St. Marien-Gemeinde enteignet, ihre Kirche 1964 gesprengt und die Freifläche zum Parkplatz umfunktioniert. Ausgrabungen am Petri-Platz anlässlich der 775-Jahrfeier der Stadt in wenigen Wochen haben die Grundmauern dreier mittelalterlicher Kirchen und der angrenzenden Lateinschule zum Vorschein gebracht. Als Archäologen ab 2007 die alten Fundamente freilegten, entdeckte man zugleich die Symbolträchtigkeit des Ortes.

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"Es geht um nicht weniger als um die Urform des Verhältnisses zwischen Religion und Stadtleben", meint Roland Stolte, theologischer Referent der Evangelischen Kirchengemeinde St. Petri-St. Marien und Vorsitzender des Vereins "Bet- und Lehrhaus". Gemeinsam mit Vertretern der jüdischen und der muslimischen Glaubensgemeinschaften in Berlin hat Stoltes Gemeinde die Planung und Konzeption des ersten multi-religiösen Gebetshauses auf dem Petri-Platz realisiert. In der alten Parochial-Kirche unweit des Petri-Platzes stellen die Initiatoren derzeit die 38 Entwürfe zur Gestaltung des geplanten Baus aus. "Es gibt zwar bereits gemeinsame Andachtsräume für verschiedene Religionen, zum Beispiel auf Flughäfen oder bei der UNO in New York. Unser Projekt ist aber das erste, das aus dem Inneren der Glaubensgemeinschaften entsteht - ohne neutrale Partner von außen", betont Stolte nicht ohne Stolz.

Unlängst hat ein Gremium aus Religionsvertretern, Städteplanern und Archäologen den Gewinner der Architekturausschreibung gekürt. "Uns war besonders wichtig, dass das Gebäude von außen nicht unbedingt als Gotteshaus erkennbar ist, und weder einer Moschee noch einer Kirche noch einer Synagoge ähnelt", erklärt Ercan Karakoyun, während er seinen Gast durch die Entwurfs-Ausstellung führt. Der 31jährige gebürtige Westfale mit türkischen Wurzeln ist als Vorsitzender des "Forums für interkulturellen Dialog" der Vertreter der muslimischen Glaubensgemeinschaft innerhalb des Projekts. Bei der Planung habe man vor allem Wert darauf gelegt, dass die drei Andachts- und Gebetsräume des multireligiösen Hauses nicht hierarchisch zueinander stehen, das heißt etwa durch verschiedene Stockwerke voneinander getrennt sind.

"Juden, Moslems und Christen, alle gehören zu unserer Stadt"

Der Sieger-Entwurf vom Berliner Architektenbüro Kuehn-Malvezzi berücksichtig sowohl die Gleichberechtigung der Religionen als auch den Wunsch nach einem geräumigen Ort des Dialogs im Zentrum des Gebäudes. Die Planung sieht eine ebenerdige archäologische Ausstellung vor, über der die Empfangshalle des Bet- und Lehrhauses thront. Über Treppen gelangt man zum Zugang zu den Gebetsräumen und dem Dialogzentrum und der Panorama-Plattform.

Modell des Bet- Und Lehrhaus am Petriplatz, Berlin. Foto: Architektenbüro Kuehn-Malvezzi

"Uns geht es nicht um Gleichmachung, sondern darum, den Dialog zwischen den Religionen zu fördern", sagt Roland Stolte. "Deswegen sind die drei Gebetsräume für Juden, Christen und Muslime unterschiedlich und den verschiedenen Erfordernissen entsprechend gestaltet. Wir wollen keine religiöse Binnenveranstaltung sein, sondern einen lebendigen Austausch mit der Außenwelt haben." Das Bet- und Lehrhaus soll nicht zuletzt auch eine touristische Adresse werden. Der Dialog zwischen Stadtleben und Religion werde gerade im mehrheitlich säkularen Berlin immer wichtiger, findet Stolte. Angesichts der Spannungen, Vorurteile und Missverständnisse zwischen den Religionsgruppen weltweit sei ein Dialog zwischen den Glaubensrichtungen gerade heute unerlässlich.

Was in Berlin in einem Haus vereint werden soll, existiert im Nahen Osten oder in der Türkei schon seit vielen Jahrhunderten, zum Beispiel in Istanbul oder in Jerusalem, wo im selben Stadtviertel Moscheen, Kirchen und Synagogen innerhalb eines Straßenzugs historisch gewachsen sind. "Wenn wir ein gemeinsames Gebetshaus für drei Religionen realisieren, dann reagieren wir eigentlich nur auf die Entwicklung der Bevölkerung Berlins. Juden, Moslems und Christen, alle gehören zu unserer Stadt", betont Ercan Karakoyun. Das Bet- und Lehrhaus soll dabei nicht nur Anlaufstelle für Gläubige der drei monotheistischen Religionen sein, sondern ebenso sehr Schulklassen, Ausflügler und die Berliner Bevölkerung dazu bringen, sich mit dem Näherrücken der Religionen in der Stadt auseinanderzusetzen.

"Die Karawane formt sich auf dem Weg"

Innerhalb der muslimischen Glaubensgemeinschaft in Berlin gebe es auch Vorbehalte gegen das multireligiöse Projekt, sagt Karakoyun. Die größte Sorge sei gewesen, dass es zu Synkretismus oder gar zum Wettbewerb zwischen den Religionen kommen könnte. "Manche Kritiker befürchten, dass die Muslime in einem gemeinsamen Gebetshaus bevormundet werden könnten. Aber die Karawane formt sich auf dem Weg."

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Ein Projekt, das ebenso gewagt wie idealistisch erscheinen mag, angesichts der aktuellen Berichte aus Berlin über den gewalttätigen Angriff gegen einen Rabbiner und den wachsenden Antisemitismus an Schulen, aber auch angesichts der weltweiten Ausschreitungen infolge des Mohammed-Films. Das Bet- und Lehrhaus soll dabei genau diese Konflikte aufgreifen und ein Forum bieten für die Diskussion zwischen den Glaubensrichtungen. "Wir hätten zum Beispiel über den Mohammed-Film oder die religiöse Beschneidung diskutieren können", gibt Roland Stolte zu bedenken. "Wir wollen kein Kaffeekränzchen von Gutmenschen sein, sondern konkret und unmittelbar für interreligiöse Verständigung arbeiten. Wir wollen der Ort sein, an dem man heiße Eisen anpackt."

Noch sind auf dem Berliner Petri-Platz nur die Spuren der archäologischen Ausgrabungen und die Betonplatten des alten Parkplatzes zu sehen. Mit welchen Baukosten man für das Bet- und Lehrhaus rechnen muss, wird sich erst in den kommenden Monaten herausstellen. Immerhin verfügt die St. Petri-St. Marien-Gemeinde noch immer über die Entschädigungssumme der DDR, einen "niedrigen siebenstelligen Betrag". Darüberhinaus vertraut man auf Spenden und ein günstiges Finanzierungsmodell. Der politischen Unterstützung des Berliner Senats und der Bezirksbehörden sind sich die Initiatoren derweil sicher. Bald soll zum Konzept und zur Architektur des ehrgeizigen Projekts ein Katalog auf fünf Sprachen erscheinen, der weltweit vertrieben wird. "Wir wollen interreligiöse Botschaften an die Welt richten.", sagt Roland Stolte überzeugt. Ercan Karakoyun nickt ihm zustimmend zu.