Pfarrerin aus Moskau: Angst um Familie bleibt

Pfarrerin Elena Bondarenko aus Russland
© epd-bild/Charlotte Morgenthal
Die russische Pfarrerin Elena Bondarenko arbeitet jetzt in der evangelischen St.-Andreas-Kirche im niedersächsischen Seesen: "Weil wir in Russland gelebt haben, wussten wir, dass Russland aggressiv sein kann, aber diesen Wahnsinn haben wir nicht erwartet."
Von Russland an den Harzrand
Pfarrerin aus Moskau: Angst um Familie bleibt
Als Kind las Elena Bondarenko gerne deutsche Märchen - nicht ahnend, dass sie die Sprache einmal brauchen würde. Vor wenigen Wochen kam die russische Pfarrerin nach Deutschland. Die Angst um Familienmitglieder bleibt.

Elena Bondarenko zieht vorsichtig den schwarzen Talar aus einem Kleidersack. Die 47-jährige Theologin streift sich das alte Gewand über, das vermutlich einst von Deutschland aus über Lettland nach Russland kam. Die Amtstracht hat die frühere Moskauer Pröpstin und ihren Ehemann auf ihrem Weg zunächst nach Lettland und vor wenigen Wochen nach Deutschland begleitet. "Damit schließt sich ein großer Kreis des Lebens", sagt Bondarenko lächelnd und streicht dabei den Kragen glatt.

Bondarenko ist nach Angaben des Deutschen Nationalkomitees des Lutherischem Weltbunds nicht die einzige Kirchenvertreterin, die Russland verlassen hat. Infolge des Angriffs auf die Ukraine kehrte auch der frühere Erzbischof der Evangelisch-lutherischen Kirche Europäisches Russland, Dietrich Brauer, seiner Heimat den Rücken. Das Oberhaupt von rund 40.000 Protestanten in Russland hatte scharfe Kritik an dem Krieg und der russischen Staatsführung geübt.

Bondarenko wanderte noch vor dem Krieg gemeinsam mit ihrem Mann nach Lettland aus. Das kirchliche Leben in Russland, das nach der Wende wirkliche Freiheit erlebt habe, sei in den vergangenen Jahren immer stärker kontrolliert worden, erzählt sie in flüssigem Deutsch. Bei Seminaren und Konferenzen seien die christlichen Werte immer stärker in Zusammenhang mit dem Präsidenten und der Regierung gebracht worden.

Nach ihrer Ankunft im Baltikum im Jahr 2021 durfte allerdings nur ihr Mann als Pfarrer arbeiten. Die evangelische Kirche in Lettland lehnt es ab, Frauen zu Pfarrerinnen zu ordinieren. Der Angriff auf die Ukraine vor einem Jahr sei für sie überraschend gekommen, erzählt Bondarenko: "Weil wir in Russland gelebt haben, wussten wir, dass Russland aggressiv sein kann, aber diesen Wahnsinn haben wir nicht erwartet." Plötzlich konnten ihre lettischen Aufenthaltsgenehmigungen nicht mehr verlängert werden. In Ihrer Not schrieb Bondarenko, die zudem ausgebildete Dolmetscherin für Englisch ist, an Kontakte in Deutschland.

Auch in der Ferne Angst um die Familie: eine Pfarrerin aus Russland, die über Lettland nach Niedersachsen kam und nun in Seesen als Pfarrerin arbeitet.

Über den Lutherischen Weltbund landete die Anfrage beim braunschweigischen Oberlandeskirchenrat Thomas Hofer. Ein paar Wochen später, zur Adventszeit, fuhr das Ehepaar mit ihrem Schäferhund im Auto von Lettland aus bis nach Niedersachsen. "Frau Bondarenko und ihr Mann sind unser Weihnachtsgeschenk", sagt die örtliche Pröpstin Meike Bräuer-Ehgart.

Auch für den Kirchenvorstandsvorsitzenden Jürgen Hirschfeld war es keine Frage, die russische Theologin in Seesen aufzunehmen. Da es kein Pfarrhaus für die neue Kollegin gab, musste eine Ferienwohnung angemietet werden - mit einem zusätzlichen vierbeinigen Gast kein leichtes Unterfangen.

Die Arbeitserlaubnis war eine nächste Hürde: Bislang zähle der Pfarrberuf nicht zu den Mangelberufen wie etwa die Altenpflege, erzählt Hofer. Dabei gibt es in der braunschweigischen Landeskirche viele unbesetzte Pfarrstellen. Letztlich wurde alles akzeptiert. Nur wenige Wochen nach ihrer Ankunft arbeitet die Russin bereits im Probedienst in drei Gemeinden, ist zuständig für rund 900 Gemeindemitglieder.

Die Frau mit den schulterlangen braunen Haaren stellt sich in ihrem Talar vor den mit Blumen und Kerzen geschmückten Altar in der Seesener St.-Andreas-Kirche. Dann liest sie still in der vor ihr aufgeschlagenen Bibel, die Hände sind zum Gebet gefaltet. Die Sorge um ihre Mutter und die Eltern des Mannes bleiben ihre ständigen Begleiter. "Aber auch hier gibt es einsame Menschen, die unsere Hilfe brauchen", sagt sie.

Als im vergangenen Jahr ihr Vater starb, konnte sie auch zur Beerdigung nicht zurück. Zu ungewiss seien für sie die Folgen und mögliche Repressalien gewesen. "Wir sind abhängig von der Willkür der Machthaber", sagt sie. Ihr größter Wunsch derzeit: sich in ihrem neuen Zuhause weiter einzuleben und zu arbeiten.