Armut: Verbände fordern mehr Hilfen für Kinder und Familien

Armut: Verbände fordern mehr Hilfen für Kinder und Familien
Studie: Armutsrisiko von Kindern und jungen Erwachsenen gestiegen
Kinderarmut bleibt ein Problem: Laut einer Studie steigt die Zahl der Menschen unter 18 Jahren, die in Haushalten mit Grundsicherung leben, erstmals seit fünf Jahren wieder. Verbände fordern mehr Ganztagsbetreuung und eine höhere Grundsicherung.

Gütersloh, Berlin (epd). Mehrere Sozialverbände fordern mehr Unterstützung von Kindern und Familien, um die Armut zu bekämpfen. „Kinderarmut ist kein Schicksal, sondern Resultat jahrzehntelanger politischer Unterlassungen“, kritisierte der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, Ulrich Schneider, am Donnerstag in Berlin. Nach aktuellen Berechnungen der Bertelsmann Stiftung gelten in Deutschland mehr als jedes fünfte Kind und jeder vierte junge Erwachsene als armutsgefährdet.

In absoluten Zahlen sind das knapp 2,9 Millionen Kinder und Jugendliche sowie 1,55 Millionen Menschen im Alter von 18 bis 25 Jahren, wie es im am Donnerstag veröffentlichten „Factsheet Kinder- und Jugendarmut“ heißt. Der Studie zufolge gelten Kinder als arm, wenn ihre Eltern über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügen oder Leistungen der Grundsicherung erhalten.

„Durch armutspolitische Ignoranz und Tatenlosigkeit werden Millionen Kinder einer unbeschwerten Kindheit beraubt und die Zukunft dieser Gesellschaft als guter Wirtschafts- und Lebensstandort gefährdet“, kritisierte Schneider. Die von der Bundesregierung geplante Kindergrundsicherung sei zur Bekämpfung der Kinderarmut von herausragender Bedeutung. Zudem erneuerte der Verband seine Forderung nach einer sofortigen Anhebung der Grundsicherungsleistungen um mindestens 200 Euro im Monat.

Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) rief die Politik auf, bei der Kindergrundsicherung auch mehr Verteilungsgerechtigkeit umzusetzen. „Aktuell profitieren Familien mit hohen Einkommen viel stärker beim Familienlastenausgleich, da bei der steuerlichen Freistellung des kindlichen Existenzminimums die Entlastung durch die Kinderfreibeträge mit steigenden Einkommen zunimmt“, erklärte die AWO. „Damit endlich Schluss mit der ungleichen Förderung armer und reicher Kinder ist, fordern wir, dass die Kinderfreibeträge vollständig in die Kindergrundsicherung überführt werden - und zwar nicht nur perspektivisch, sondern von Anfang an“, erklärte Präsident Michael Groß.

Der Sozialverband Deutschland forderte zusätzlich mehr kostenlose Ganztagskinderbetreuung. „Kinderarmut betrifft vor allem Alleinerziehende, gefolgt von Mehrkindfamilien“, sagte die Vorstandsvorsitzende Michaela Engelmeier den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe (Online Donnerstag/Print Freitag). Wenn Alleinerziehende nur Teilzeit arbeiten könnten, weil das Ganztagsbetreuungsangebot für ihre Kinder fehle, dann sei Kinderarmut vorprogrammiert.

Für die Bertelsmann-Studie wurden unter anderem aktuelle Daten der Bundesagentur für Arbeit zu Kindern und Jugendlichen, deren Familien staatliche Unterstützung nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II beantragt haben, aus dem Sommer 2022 herangezogen. Demnach lebten im vergangenen Sommer rund 1,9 Millionen junge Menschen unter 18 Jahren in Haushalten mit SGB II-Bezug.

Die Quote betrug im Juni 2022 in Westdeutschland 13,4 Prozent und in Ostdeutschland 16 Prozent. Der Studie zufolge ist die Armut in den Städten deutlich stärker ausgeprägt: Die höchste Quote weist die konjunkturschwache Ruhrgebietsstadt Gelsenkirchen in Nordrhein-Westfalen mit 41,7 Prozent auf. Weit unter zehn Prozent bleiben dagegen häufig ländliche Regionen wie Roth in Bayern (2,7), Biberach in Baden-Württemberg (5,2) oder Eichsfeld in Thüringen (6,6).