TV-Tipp: "Wilsberg: Fette Beute"

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7. Januar, ZDF, 20.15 Uhr
TV-Tipp: "Wilsberg: Fette Beute"
Eigentlich taugt der Mann nicht zum Sympathieträger. Georg Wilsberg ist oft schlecht gelaunt, nutzt Kumpel Ekki schamlos aus und will Freundin Anna mit einer Flasche Wein bestechen, die sie einer Nachbarin vor die Tür gestellt hat. Dass der Privatdetektiv bei Ermittlungen regelmäßig gegen Gesetze verstößt, versteht sich fast von selbst. Aber womöglich sind all’ diese kleinen Charaktermängel der Grund, warum die Figur auch bei einem jüngeren Publikum so beliebt ist.

Hinzu kommt, dass Leonard Lansink den Antiquar nicht als freundlichen Fernseh-Opa verkörpert. Ein weiterer wichtiger Beitrag zum Erfolgsgeheimnis des ZDF-Dauerbrenners sind die Themen: Die digitale Welt ist für Wilsberg immer noch Neuland; gerade deshalb ist es umso reizvoller, dass er bei seinen Fällen ständig damit konfrontiert wird. Der 77. Film der Reihe trug den Arbeitstitel "Disruptor". Der Begriff stammt ursprünglich aus der Evolutionsbiologie, wird heutzutage jedoch vor allem im Zusammenhang mit der digitalen Wirtschaft benützt und bezeichnet zum Beispiel ein Unternehmen, das dank einer innovativen Entwicklung in einem bestimmten Marktbereich einen abrupten und grundlegenden Wandel auslöst. 

Das klingt erst mal nicht nach Krimistoff, zumal Kommissar Overbeck (Roland Jankowsky) mit seinen Ausführungen über den Roman "Das Geld" von Émile Zola (1891) oder Joseph Schumpeters Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung (1911) zu allerlei Exkursen ansetzt, die den Rahmen eines gewöhnlichen Reihenkrimis deutlich sprengen. In diesen Spontanvorträgen liegt der Mehrwert des Films, zumal der als Polizist zu erheblicher Selbstüberschätzung neigende, aber überraschend belesene Kommissar beiläufig erklärt, welche Rolle Innovation für das Wirtschaftswachstum spielt; gut möglich, dass Stefan Rogall an diesen Dialogpassagen den meisten Spaß hatte.

Nun brauchte der vielfache "Wilsberg"-Autor bloß noch die passende Geschichte dazu: Das Start-up-Unternehmen "HausMeister" droht den örtlichen Dienstleistern mit einer App das Wasser abzugraben, weil es deren Service deutlich preiswerter anbietet; diversen mittelständischen Handwerksbetrieben droht die Pleite. Wilsberg und Ekki (Oliver Korittke) kommen ins Spiel, als ein Teilhaber der dreiköpfigen Firma quasi vor ihren Augen stirbt.

Erst mal droht ihnen allerdings selbst eine Menge Ärger: Leon Zöller musste mit seinem Firmenwagen ausweichen, weil Ekki unvorsichtig die Straße betreten hat. Dann stellt sich jedoch heraus, dass der Mann eine Menge Aufputschmittel intus hatte. Seine Schwester (Isabella Krieger) beteuert allerdings, er nehme das Zeug schon lange nicht mehr, und Firmenpartnerin Dorothee Bischoff (Michelle Barthel) ist überzeugt, dass er umgebracht worden ist. Sollten Wilsberg und Ekki den Mord nachweisen können, wären sie aus dem Schneider, was etwaige Schadensersatzforderungen wegen des Unfalls angeht: weil Zöller dann schon tot war. 

Dass "Fette Beute" nicht aus dem Durchschnitt der Reihe herausragt, liegt ausgerechnet an der Umsetzung durch Martin Enlen, der in den vergangenen Jahren einige der besten "Wilsberg"-Episoden gedreht hat. Wohlwollend ließe sich sagen, dass die Inszenierung ganz im Dienst der Geschichte steht; tatsächlich ist der Film arm an Spannung und Höhepunkten.

Handwerklich gibt es zwar nichts auszusetzen, doch frühere Beiträge des Regisseurs, etwa "Gottes Werk und Satans Kohle" (2019), waren nicht nur inhaltlich, sondern auch optisch ein Genuss (Bildgestaltung hier wie dort: Philipp Timme).

Über jeden Zweifel erhaben ist allerdings die Arbeit mit dem Ensemble. Beim eingespielten Kern-Team mag das nicht weiter überraschen, aber großen Spaß machen auch Andreas Merker als Streifenpolizist Lüdke, der Overbeck bei den Ermittlungen unterstützt und die mit Abstand witzigsten Dialoge hat, sowie Sarah Alles-Shahkarami als Polizei-Azubine, die im Auftrag von Anna Springer (Rita Russek) bei HausMeister anheuert und sich ein bisschen in Dorothee Bischoffs Kompagnon (Ron Heibig) verguckt.

Prägende Figur des Films bleibt trotzdem der Alltagsphilosoph Overbeck ("Das Ziel liegt auf dem Weg"), und das nicht nur, weil er die Botschaft der Geschichte formuliert: "Immer schneller, immer billiger, das macht uns doch alle kaputt." Dank seiner Funktion als Bindeglied zwischen den einzelnen Handlungsebenen ist die Rolle zudem Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, zumal Jankowsky die Vorlagen liefert, die Merker erst glänzen lassen.