Tunis (epd). Bei der Parlamentswahl in Tunesien hat sich am Wochenende eine extrem niedrige Beteiligung abgezeichnet. Die Wahlbehörde gab den Anteil der abgegebenen Stimmen nach Schließung fast aller Wahllokale am Samstag mit 8,8 Prozent an. Endgültige Zahlen werden bis Dienstagabend erwartet. Die meisten großen Parteien hatten die Wahl boykottiert.
Nach dem Verfassungsreferendum am 25. Juli und der Änderung des Wahlrechts gilt die Parlamentswahl als weiterer Schritt, mit dem Präsident Kais Saied seine Macht ausbauen will. Lange wurde Tunesien als Demokratie-Vorreiter im arabischen Raum angesehen. Vor rund eineinhalb Jahren ließ der Präsident allerdings den Notstand ausrufen und riss weite Teile der Macht an sich. Bis Sonntagmittag äußerte er sich nicht zu der geringen Wahlbeteiligung.
Statt Parteilisten wie bislang standen am Samstag Einzelkandidaten zur Wahl. In 10 der 161 Wahlkreise gab es nur einen Kandidaten, in 7 weiteren keinen einzigen. Dort soll im kommenden Jahr eine Nachwahl stattfinden.
Der Leiter der Wahlbehörde, Farouk Bouasker, erklärte am Samstag, die Wahlbeteiligung sei so niedrig ausgefallen, da es sich zum ersten Mal in der Geschichte des Landes um saubere Wahlen gehandelt habe, ohne Stimmenkauf und politische Einflussnahme.
Die unabhängige tunesische Wahlbeobachterorganisation Mourakiboun ging am Sonntag von einer Wahlbeteiligung von rund 11 Prozent aus. Sowohl der Wahlkampf als auch die Stimmabgabe seien sehr verhalten ausgefallen, erklärte die Organisation. Bereits bei der Vorbereitung der Wahlen habe es organisatorische Schwächen gegeben. Man habe - wie auch bei vergangenen Wahlen - einige Versuche beobachten können, die Wähler unrechtmäßig zu beeinflussen, erklärte ein Vertreter der Organisation in Bezug auf die Erklärung des Wahlbehörden-Leiters.
Die Nationale Rettungsfront, ein Zusammenschluss verschiedener Oppositionsparteien um die konservative Ennahdha-Partei, forderte am Sonntag vorgezogene Präsidentschaftswahlen. Zudem verlangte das Parteienbündnis den Rücktritt der Wahlbehörde, die öffentliche Gelder verschwendet habe.
Das vorläufige amtliche Endergebnis soll spätestens am Dienstag verkündet werden. Es ist davon auszugehen, dass es in einigen Wahlkreisen zu Stichwahlen kommen wird. Diese würden Anfang 2023 stattfinden.