Gemeinde belässt Wittenberger Schmähplastik an Ort und Stelle

Gemeinde belässt Wittenberger Schmähplastik an Ort und Stelle
Die Wittenberger "Judensau" verbleibt an der Fassade der Stadtkirche. Damit entscheidet sich der Gemeindekirchenrat gegen die Empfehlung eines von ihm selbst beauftragten Expertengremiums. Das erntet Kritik beim Zentralrat der Juden.

Wittenberg (epd). Die als „Judensau“ bekannte mittelalterliche Schmähplastik an der Fassade der evangelischen Stadtkirche Wittenberg wird nicht entfernt. Das hat der Gemeindekirchenrat am Dienstagabend in einer Sitzung beschlossen. „Nach einem intensiven Austausch und anfänglich kontroversen Diskussionen sind wir am Ende des Prozesses zu der gemeinsamen Überzeugung gelangt, dass die Stätte der Mahnung als Ganzes erhalten bleiben soll“, sagte der Vorsitzende des Gemeindekirchenrates, Jörg Bielig, am Mittwoch in Wittenberg. Der Präsident des Zentralrates der Juden, Josef Schuster, äußerte sich kritisch zu der Entscheidung.

Das Relief in vier Metern Höhe zeigt ein Schwein, an dessen Zitzen Menschen saugen, die Juden darstellen sollen. Das Spottbild auf die jüdische Religion befindet sich seit etwa 1290 an der Südostecke der Stadtkirche Wittenberg. Eine 1988 vor der Kirche eingelassene Bodenplatte und eine Stele mit Erläuterungen stellen die Plastik in einen distanzierenden Kontext.

Ein 2020 vom Gemeindekirchenrat einberufener „Beirat zur Weiterentwicklung der Stätte der Mahnung“ hatte Ende Juli noch eine zeitnahe Entfernung der Schmähplastik empfohlen. „Wir haben großen Respekt vor der Haltung des Expertenbeirates, können uns dessen Empfehlungen aber nicht uneingeschränkt anschließen“, erklärte der Gemeindekirchenrat. Die künstlerische Erweiterung durch das 1988 errichtete Bronzedenkmal, der Zeder und dem erklärenden Text auf einer Tafel in unmittelbarer Nähe wandle den beleidigenden und obszönen Charakter der Schmähplastik. Der Ort werde so zu einer Mahnstätte.

In dieser Auffassung bestätigt sieht sich der Gemeindekirchenrat auch durch eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Juni, wonach das Relief trotz des antijüdischen Inhalts an seinem historischen Ort verbleiben kann (AZ: VI ZR 172/20). In der Begründung hieß es, dass die Gemeinde sich durch die 1988 eingelassene Bodenplatte und einem erklärenden, einordnenden Text auf einem Aufsteller ausreichend von dem Relief distanziert habe.

Zentralratspräsident Schuster sieht das anders. Er erklärte auf Anfrage in Berlin, die derzeitige Erklärtafel in Wittenberg sei nicht dazu geeignet, „die Schmähplastik angemessen einzuordnen und zu erklären“. Klare und deutliche Erklärungen seien zwingend notwendig. „Die Geschichte des kirchlichen Antijudaismus lässt sich nicht ungeschehen machen.“ Daher erwarte er mit Interesse die angekündigte Überarbeitung der Erklärtafel.

Auch müsse abgewartet werden, wie die angekündigte „Weiterentwicklung der Mahnstätte“ aussehen wird. Insgesamt müsse ein angemessener Umgang mit judenfeindlichen Plastiken gefunden werden, „der über die Überarbeitung eines Textes hinausgeht“, verlangte Schuster.

Laut Gemeindekirchenrat wendet sich die „Stätte der Mahnung“ als Anklage an die Verursacher aller Formen von Antisemitismus und Antijudaismus. Die Weiterentwicklung der Mahnstätte solle den Ort direkt mit einbeziehen. In diesem Sinn folge der Gemeindekirchenrat den Empfehlungen des Beirates, „eine bleibende Kontextualisierung durch ein zeitgemäßes pädagogisches Konzept“ zu schaffen. Neben der Überarbeitung der Erklärtafel seien weitere Informationen zu Antijudaismus und Antisemitismus in der Kirche geplant.