Krieg und Frieden - was ist der Plan der Kirche?

Rüstungsgegner bei Friedensdemo mit Friedenstaubenballon
© epd-bild/Christian Ditsch / evangelisch.de (M)
Zwischen konsequentem Pazifismus und gerechtem Krieg - wie positioniert sich die evangelische Kirche in aktuellen Konflikten?
Kolumne: Evangelisch kontrovers
Krieg und Frieden - was ist der Plan der Kirche?
Kann man die Position der evangelischen Kirche zu Krieg und Frieden tatsächlich als Friedensethik bezeichnen, auch wenn sie nicht pazifistisch ist? Und wie passt sie in die neue politische Lage, die sich mit Russlands Angriff auf die Ukraine ergeben hat? Dr. Alexander Maßmann, unser Ethik-Experte von der Universität Cambridge, nimmt Stellung.

Wie soll sich die evangelische Kirche zum Thema Krieg und Frieden verhalten? Die bisherige Position der EKD findet sich in der Denkschrift "Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen"  (2007).

Hier betont die EKD stark die zivile Friedensarbeit, hält aber unter Umständen auch "rechtserhaltende Gewalt" für legitim. Verdient die Position der EKD ihre Bezeichnung als Friedensethik, auch wenn sie den Radikalpazifismus ablehnt? Und wie passt sie in die neue politische Wirklichkeit?

Die Position der EKD steht teilweise in überraschender Nähe zur sogenannten Lehre vom gerechten Krieg. Die EKD-Denkschrift betont: Wenn Militäreinsätze zur Erhaltung des Rechts notwendig sind, sind sie zu bejahen. Die Wahrung beziehungsweise Wiederherstellung von Recht und Frieden ist ebenfalls die Absicht der Lehre vom gerechten Krieg.

Position zur Lehre vom gerechten Krieg

Die besagt nicht etwa, dass Kriege rechtmäßiger Herrscher schon als solche "gerecht" sind. Wenn ein Herrscher vielmehr Recht und Ordnung gefährdet sieht, ist laut dieser Lehre in ihrer klassischen Form kritisch zu prüfen, ob sein militärisches Eingreifen moralischen Standards gerecht wird: Handelt es sich beim Kriegsherrn um die berufene politische Instanz? Rechtfertigt der Anlass das Handeln? Kann dieser Krieg mit guter christlicher Absicht durchgeführt werden?

Natürlich handelt es sich hier um Ermessensfragen, und so wurden diese Kriterien auch dazu herangezogen, fragwürdige Kriege zu legitimieren. Dieser Gefahr entgeht allein der Radikalpazifismus, der sich andererseits der Frage stellen muss, ob man nicht in der Tat manchmal Recht und Frieden durch Gewalt sichern muss. Im Laufe der Jahrhunderte kamen weitere Kriterien zur Theorie des gerechten Kriegs hinzu. Gewalt darf etwa nur letztes Mittel ("ultima ratio") sein und sich auch nicht gegen zivile Ziele richten.

Eine echte Friedensethik

Die Denkschrift vertritt allerdings auch neue Gesichtspunkte, so dass die Position der EKD durchaus auf etwas Eigenständiges hinausläuft: eine echte Friedensethik, die weder Pazifismus noch Lehre vom gerechten Krieg ist. Im Unterschied zur klassischen Lehre vom gerechten Krieg (mit ihrem Fundament im Naturrecht) betrachtet die Denkschrift die gewaltsamen Konflikte in der Welt nicht bloß als isolierte Ausnahmefälle. Deshalb konzentriert sie sich nicht allein auf militärische Eingriffe, die dieser Gewalt ebenfalls bloß episodisch begegnen würden.

Hier zieht die Denkschrift mindestens fünf Konsequenzen: Es sind langfristige zivile Anstrengungen für den Frieden nötig, über die Krisendiplomatie hinaus (1). Diese Friedensdienste sollen auch der Abrüstung auf die Sprünge helfen (2). Die Ansicht der Denkschrift, dass militärische Gewalt immer auch Schuld bedeutet (3), ist ferner dem "gerechten Krieg" fremd. Bedeutend ist auch die Forderung der Denkschrift, dass eine militärische Intervention nicht von einem einzelnen Akteur – bzw. einer spontanen Koalition der Willigen – getragen werden kann, sondern nur von einer umfassenden Staatengemeinschaft, deren Mitglieder einander rechtlich verantwortlich sind (4). Auch ist nach militärischem Eingreifen nachhaltig für Recht und Frieden zu sorgen (5). All das mach die Position der evangelischen Kirche zu einer eigenständigen Friedensethik, in der Gewalt zwar eine begrenzte Rolle spielt, die aber deutlich stärker als die Lehre vom gerechtem Krieg auf friedlichen Maßnahmen beharrt.

Die aktuelle Lage

Wird diese Friedensethik auch der neuen politischen Situation gerecht? Die Denkschrift macht Gewalt vom Konsens einer Staatengemeinschaft abhängig. Hier ist besonders an den UN-Sicherheitsrat zu denken. Doch Russland und China haben schon oft das internationale Ordnungsgefüge blockiert, das rechtserhaltende Gewalt so tragen könnte, wie die EKD-Denkschrift hofft.

Zuletzt ist Russland sogar zunehmend totalitär und faschistoid  geworden und lässt sich gar nicht mehr international einbinden. Hier wird die EKD-Position den jüngeren Entwicklungen nicht mehr gerecht. Es bleibt die bescheidene Hoffnung, dass ein breites Staatenbündnis beharrliche Friedensarbeit leistet und Reformen anschiebt, mit denen der UN-Sicherheitsrat trotzdem funktionsfähig wird. Solange autoritäre Staaten ihn aber blockieren, kann ein solches Reformbündnis unter Umständen auch mit militärischen Eingriffen dem Frieden dienen.

Zivile Konfliktlösung unverzichtbar

Der 24. Februar 2022 wurde als Epochenwechsel  beschrieben. Die Konfrontation zwischen wenigen Staaten oder Staatenbündnissen gewinnt geopolitisch an Bedeutung. Doch das ist nicht alles. Die kleineren Krisenherde werden weiterbestehen, und damit wird die Mehrzahl der Kriege weiterhin asymmetrisch von Freischärlern und Guerilla-Kämpfern geprägt sein. Damit werden auch zivile Friedensdienste nicht an Bedeutung verlieren. Denn Guerillas sind gegen die ordentlichen Armeen der Nationalstaaten relativ erfolgreich.

Solche Kriege werden militärisch immer "schmutziger", weil sich zivile Ziele immer schlechter von militärischen unterscheiden lassen. Die beste Strategie in diesen Konflikten ist, sie frühzeitig mit zivilen Mitteln zu entschärfen. Dann ist es aber fahrlässig, weniger Mittel für zivile Friedensarbeit aufzuwenden, wie es sich mit dem "Sondervermögen Bundeswehr" der Ampel abzeichnet. Anders als von der EKD-Synode 2019 signalisiert, ist es zwar legitim, die Bundeswehr zu stärken. Doch die Synode hatte Recht damit, dass eine Aufstockung, nicht eine Reduzierung der Mittel für die zivile Friedensarbeit nötig ist.

So dürften zivile Friedensarbeit und Bereitschaft zur militärischen Intervention stärker komplementär zu denken sein, wie es nun verschiedentlich heißt. Das ist aber leichter gesagt als getan, da Aufrüstung und zivile Friedensarbeit einander entgegenwirken können. Es fragt sich etwa, ob die parlamentarischen Regeln, die Abgeordnete zur Meldung von Nebeneinkünften verpflichten, ausreichend Transparenz gewährleisten, um unangebrachten politischen Einfluss von Rüstungsunternehmen zu vermeiden. Auch ist zu klären, wie man die Weiterverbreitung von Nuklearwaffen vermeiden möchte. Das sind nur zwei Beispiele des Dilemmas, mit dem sich die Friedensethik nun verstärkt befassen muss.