UN-Experte sieht den Sudan ohne schnelle Lösungen vor dem Kollaps

UN-Experte sieht den Sudan ohne schnelle Lösungen vor dem Kollaps
23.09.2022
epd
epd-Gespräch: Natalia Matter

Frankfurt a.M. (epd) Der Sudan steht ohne schnelle Lösungen zahlreicher Probleme nach Einschätzung des UN-Experten Eddie Rowe vor dem Kollaps. "Ich würde den Sudan heute als tickende Zeitbombe bezeichnen", sagte der Landesdirektor des Welternährungsprogramms dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Fast ein Drittel der Bevölkerung leidet unter gravierender Ernährungsunsicherheit.“ Die Lage verschlechtere sich seit der Machtübernahme des Militärs im Oktober 2021 jeden Tag.

Die Gewalt nehme zu, Hilfe werde von der Regierung und bewaffneten Milizen behindert, sagte Rowe. „Wir bewegen uns nach und nach auf eine Situation zu, in der mehr als 70 Prozent des Landes nicht in der Lage ist zu überleben.“

Voraussetzung für die Lösung aller Probleme ist nach Rowes Einschätzung eine Stabilisierung der politischen Lage. „Wir brauchen eine Rückkehr zu Frieden und zu einer Regierung, die mit Strukturen und Institutionen grundlegende Dienstleistungen bereitstellt.“ Dafür müsse sich die internationale Gemeinschaft mehr engagieren, ist Rowe überzeugt. „Wenn es eine gemeinsame Anstrengung von EU, USA und den Golfstaaten gibt, um mit den entscheidenden Stellen in der Regierung zu verhandeln, glauben wir, dass es einen Durchbruch geben könnte.“

Im Sudan haben Instabilität und Gewalt zugenommen, seit das Militär im Oktober eine zivil-militärische Übergangsregierung abgesetzt hat, die nach dem Sturz von Langzeitherrscher Omar Al-Baschir 2019 eine Demokratisierung des Landes einleiten sollte. Die andauernden Proteste der Bevölkerung schlägt die Armee immer wieder brutal nieder.

Zudem behindert die Regierung laut Rowe die Arbeit der Hilfsorganisationen. „Es wird immer schwieriger für uns, rechtzeitig Reiseerlaubnisse und Visa zu erhalten.“ Regelmäßig müsse deshalb die Verteilung von Hilfsgütern verschoben oder abgesagt werden. Ein weiterer Grund für die Behinderung von Helferinnen und Helfern seien publik gemachte Missstände. „Wenn Du also denjenigen, die Missstände dokumentieren und öffentlich machen könnten, den Zugang beschränkst, reduzierst Du die Berichterstattung.“

Auch die zunehmende Gewalt zwischen Gemeinschaften verursacht dem Welternährungsprogramm (WFP) Probleme. „Ursache dafür ist der Kampf um Land und natürliche Ressourcen wie Wasser“, sagte Rowe. Was sich bisher vor allem auf die westliche Region Darfur beschränkt habe, sei in diesem Jahr auch im südlichen Kordofan und im Osten, wo die Häfen liegen, zu beobachten. Als im Dezember der wichtigste Hafen wegen der Gewalt sechs Wochen blockiert gewesen sei, habe es Schwierigkeiten bei der Einfuhr von Hilfsgütern gegeben.

Trotz der großen Not der Bevölkerung, der gestiegenen Preise und der Getreideknappheit wegen des Krieges in der Ukraine ist das WFP laut Rowe deutlich unterfinanziert. Für die kommenden Monate fehlten noch 203 Millionen US-Dollar, von denen er im besten Fall 40 bis 45 Millionen erwartet. „Wir sind gezwungen, schwierige Entscheidungen zu treffen“. So mussten die Essensrationen halbiert und die Hilfe auf die Bedürftigsten wie Flüchtlinge, Kleinkinder und Mütter beschränkt werden. „Vielen Menschen können wir wegen fehlender Mittel nicht helfen.“