Gaskrise: Habeck warnt vor "Zerreißprobe" für Deutschland

Gaskrise: Habeck warnt vor "Zerreißprobe" für Deutschland
Lemke stellt Moratorium für Gas- und Stromsperren in Aussicht
Am Montag wird die Gaspipeline Nord Stream 1 für mehrtägige Wartungsarbeiten abgeschaltet. Wie es danach weitergeht, ist laut Minister Habeck unklar. Die Sorge vor einem langfristigen russischen Gasliefer-Stopp und seine sozialen Folgen wächst.

Berlin (epd). Angesichts eines möglichen Totalausfalls russischer Gaslieferungen warnt Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) vor einer „Zerreißprobe“ für Deutschland. Im Deutschlandfunk sagte Habeck am Samstag, im schlimmsten Fall müsse der Staat als Ultima Ratio entscheiden, „wo die Versorgungssicherheit gewährleistet werden muss und wo nicht“. Nach den Worten von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wird die Frage der Energiesicherheit Deutschland noch auf Jahre beschäftigen. Verbraucherschutzministerin Steffi Lemke (Grüne) stellte ein Moratorium für Gas- und Stromsperren für private Haushalte in Aussicht.

Die Sorge vor einem Lieferstopp wird unter anderem von mehrtägigen Wartungsarbeiten genährt, für die am Montag die Pipeline Nord Stream 1 abgeschaltet wird. Es könne sein, dass anschließend mehr Gas fließe, aber auch „dass gar nichts mehr ankommt“, erklärte Habeck. Er bezeichnete eine mögliche staatliche Zuweisung von Energie als „politisches Albtraumszenario“. „Das wird Deutschland vor eine Zerreißprobe stellen, die wir lange so nicht hatten.“ Ein solches Szenario müsse unter anderem durch das Einsparen und Einspeichern von Gas verhindert werden.

Habeck stellte ein weiteres Entlastungspaket in Aussicht, um gesellschaftliche Verwerfungen aufgrund steigender Energiepreise zu verhindern. Darüber werde derzeit in der konzertierten Aktion gesprochen, bei der sich die Bundesregierung mit Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden berät. „Die Anpassung in diesem Jahr wird hart werden und für einige Menschen zu hart. Ohne weitere politische Flankierung wird die soziale Spaltung dort zu stark befördert“, sagte Habeck.

Scholz sagte in seiner wöchentlichen Videobotschaft, die Sicherheit der Energieversorgung würden das Land „noch die nächsten Wochen, Monate und auch Jahre“ beschäftigen. Eine Reihe beschlossener Maßnahmen sollten das Land auf „Mangellagen“ vorbereiten: „Wir bauen Pipelines, Flüssiggasterminals. Wir sorgen dafür, dass eingespeichert wird in unsere Gasspeicher.“ Außerdem würden Kohlekraftwerke weiterbetrieben, um Gas zu sparen.

Auf lange Sicht muss Deutschland laut Scholz aber unabhängig von Importen fossiler Energieträger werden. Dazu müssten die erneuerbaren Energien ausgebaut werden, wie es nun mit der Verabschiedung mehrerer Gesetze beschlossen worden sei.

Verbraucherschutzministerin Lemke sagte der „Bild am Sonntag“, sollte die Bundesnetzagentur den Energieversorgern erlauben, die gestiegenen Weltmarktpreise an die Verbraucher weiterzugeben, müsse es ein Moratorium für das Abstellen von Strom und Gas geben. „Wir müssen einerseits sicherstellen, dass die Versorger die Energieversorgung im Land aufrechterhalten können“, erklärte die Ministerin. „Und andererseits darf niemandem in solch einer Krisensituation der Strom oder das Gas abgestellt werden, weil er mit der Rechnung in Verzug ist.“ Im Krisenfall müsse auch über ein weiteres Hilfspaket entschieden werden.

Der Deutsche Mieterbund befürchtet finanzielle Nöte in vielen Haushalten. Der starke Anstieg der Energiekosten „könnte nicht weniger als den Ruin für Millionen Mieter bedeuten“, sagte Verbandspräsident Lukas Siebenkotten der „Bild“-Zeitung (Samstag). Die Bundesregierung müsse kurzfristig erhebliche Heizkostenzuschüsse für die Menschen auf den Weg zu bringen, die sonst eine geheizte Wohnung nicht mehr bezahlen können, erklärte Siebenkotten. Geschehe dies nicht rasch, seien soziale Verwerfungen und Auseinandersetzungen zu befürchten.

Auf die stark steigenden Preise vor allem für Energie und Lebensmittel hat die Bundesregierung bereits mit zwei sogenannten Entlastungspaketen reagiert. Unter anderem fiel zum 1. Juli die EEG-Umlage weg, ein halbes Jahr früher als geplant. Auch wurden Hilfen für Sozialhilfe- und Wohngeldempfänger sowie das 9-Euro-Ticket und der umstrittene Tankrabatt beschlossen. Einkommenssteuerpflichtige Erwerbstätige erhalten eine Energiepauschale von 300 Euro.