Verbände kritisieren "soziale Schieflage" bei Entlastungspaket

Verbände kritisieren "soziale Schieflage" bei Entlastungspaket
Studie: Familien spüren Inflation am stärksten
Die Entlastungspakete der Bundesregierung angesichts des starken Preisanstiegs bei Energie und Lebensmitteln helfen Familien und Menschen mit geringem Einkommen nur begrenzt. Sozialverbände und Wissenschaftler fordern deshalb Nachbesserungen.

Düsseldorf (epd). Das geplante Entlastungspaket der Bundesregierung stößt bei Sozialverbänden auf Kritik. „Das Entlastungspaket weist nicht nur eine extreme soziale Schieflage auf, sondern ist auch klimapolitisch kontraproduktiv“, sagte Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, der „Rheinischen Post“ (Donnerstag). Nach einer am Donnerstag in Düsseldorf veröffentlichten wissenschaftlichen Studie fangen die staatlichen Maßnahmen die Preissteigerungen bei Energie und Nahrungsmitteln nur begrenzt auf.

Die vorgesehene Abschaffung der EEG-Umlage auf Strom koste 6,8 Milliarden Euro, sagte Schneider. Je höher der Stromverbrauch, umso höher falle zudem der Entlastungsbetrag aus. „Es sind die Haushalte mit den großen Wohnungen und Einfamilienhäusern, die besonders profitieren“, kritisierte Schneider.

Gleiches gelte für den sogenannten Tankrabatt, die Verbilligung von Benzin und Diesel durch die befristete Absenkung der Energiesteuer, die im Entlastungspaket mit 3,4 Milliarden Euro zu Buche schlägt. Je größer der Hubraum, umso höher sei die Entlastung, nur das Neun-Euro-Ticket für den ÖPNV sei eine glaubwürdige Maßnahme, sagte der Chef des Paritätischen.

Stattdessen seien substanzielle Hilfen für besonders Hilfsbedürftige nötig, forderte Schneider. Dies seien etwa eine Erhöhung von Hartz IV und eine Ausweitung von Wohngeld und BAföG sowie zusätzliche Energiezuschüsse oder ein Mobilitätsgeld für einkommensschwache Haushalte.

Der Sozialverband VdK hält die Entlastungspakete der Bundesregierung ebenfalls für nicht ausreichend und fordert eine Inflations-Nothilfe von 300 Euro für alle Bürgerinnen und Bürger. VdK-Präsidentin Verena Bentele sagte der Zeitung: „Rentnerinnen und Rentner gehen bei der Energiepreispauschale leer aus, ebenso wie die Empfänger von Krankengeld, Übergangsgeld oder Elterngeld.“

Der Bundestag hatte in der vergangenen Woche Entlastungen zur Abfederung der Folgen von Corona-Krise und Ukraine-Krieg beschlossen. Bezieher von Grundsicherung erhalten eine Einmalzahlung in Höhe von 200 Euro. Eltern, die Anspruch auf Kindergeld haben, bekommen einen Kinderbonus von 100 Euro. Für Kinder in ärmeren Familien soll zudem von Juli an ein Zuschlag in Höhe von 20 Euro pro Monat gezahlt werden. Erwerbstätige erhalten eine einmalige Energiepreispauschale von 300 Euro. Am Donnerstag wollte der Bundestag über den Tankrabatt und das Neun-Euro-Ticket für den ÖPNV entscheiden. Am Freitag debattiert der Bundesrat über die Entlastungen.

Familien mit Kindern leiden nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung überdurchschnittlich unter der Inflation. Für Paare mit zwei Kindern und bis zu 2.600 Euro Nettomonatslohn stiegen die Preise im April um acht Prozent. Die allgemeine Inflationsrate betrug 7,4 Prozent.

Die Entlastungspakete der Bundesregierung helfen nur beschränkt, wie es in der Studie heißt. So würden Alleinerziehende mit bis zu 2.600 Euro Nettoeinkommen von der Regierung im Gesamtjahr um 629 Euro entlastet. Die Preissteigerungen bei Energie und Lebensmitteln bedeuteten aber für sie allein von Januar bis April Zusatzkosten von 330 Euro. Auch bei Paaren mit zwei Kindern, bei denen ein Elternteil berufstätig ist, betrügen die Zusatzkosten bis April bereits über die Hälfte der Entlastung im ganzen Jahr.

Sebastian Dullien, Konjunkturforscher der gewerkschaftsnahen Stiftung, forderte die Bundesregierung zu Nachbesserungen an den Entlastungspaketen auf. Ein Ende der Preissteigerungen ist nach seiner Einschätzung nicht in Sicht. „Wenn der Ukraine-Krieg auch in den kommenden Monaten nicht endet, werden wir hinsichtlich der Mehrbelastungen keine Entspannung sehen“, sagte er.