Sachsenhausen-Prozess: Richter ruft Angeklagten erneut zu Aussage auf

Sachsenhausen-Prozess: Richter ruft Angeklagten erneut zu Aussage auf
Einer der letzten Prozesse gegen KZ-Personal läuft derzeit in Brandenburg an der Havel. Am Donnerstag wurde erneut ein Überlebender des KZ Sachsenhausen als Zeuge angehört. Das Gericht legte dem 101-jährigen Angeklagten eine Aussage nahe.

Brandenburg an der Havel (epd). Im Prozess gegen einen früheren SS-Wachmann des KZ Sachsenhausen hat der Vorsitzende Richter Udo Lechtermann den 101-jährigen Angeklagten erneut dazu aufgerufen, sich zur Sache zu äußern. „Denken Sie gut nach“, sagte Lechtermann am 24. Verhandlungstag am Donnerstag in Brandenburg an der Havel.

Die Prozessbeteiligten warteten weiter darauf, dass Josef S. etwas zu dem sage, „was hier passiert“. Neben Aussagen Überlebender hat in dem Verfahren bisher unter anderem ein historischer Gutachter an 16 Verhandlungstagen detailliert über das KZ Sachsenhausen und die dort verübten Verbrechen referiert. Die Staatsanwaltschaft wirft Josef S. Beihilfe zum Mord in mindestens 3.518 Fällen vor. (Az.: 11 Ks 4/21)

Am Donnerstag wurde in dem Prozess auch ein weiterer Überlebender des Konzentrationslagers angehört. Der aus Danzig stammende 98-jährige Alfons Studzinski, der 1940 mit 15 Jahren als politischer Häftling nach Sachsenhausen kam und heute in Nordrhein-Westfalen lebt, wurde per Videoschalte befragt. Als Zeuge schilderte er unter anderem Suizide von Mithäftlingen, die aus Verzweiflung in die Sperranlagen des Konzentrationslagers liefen und dort von der SS erschossen wurden. „Aufhängen war keine Möglichkeit“, sagte Studzinski.

Der 98-Jährige war nach eigener Aussage mit rund 80 weiteren Jugendlichen im KZ-Jugendblock untergebracht und musste in der Schuhreparatur Zwangsarbeit leisten. Er berichtete auch von quälenden Strafmaßnahmen wie stundenlangem Stehen auf dem Appellplatz, brutalen Hinrichtungen anderer Häftlinge durch die SS und dem Todesmarsch vom 21. April bis zum 3. Mai 1945, der für ihn in der Nähe von Parchim mit der Befreiung endete.

Genau fünf Jahre und einen Tag habe er in Sachsenhausen verbringen müssen, sagte Studzinski. Auf dem Todesmarsch habe die SS schließlich davon abgelassen, geschwächte Häftlinge zu erschießen, nachdem von einem Flugzeug aus Flugblätter abgeworfen worden seien, auf denen den SS-Männern im Fall weiterer Morde mit dem Tod gedroht worden sei, sagte er. Auf die Frage von Richter Lechtermann an den Angeklagten, ob er Alfons Studzinski nach Abschluss der Vernehmung noch etwas sagen wolle, reagierte Josef S. mit einem Nein.

Eine Begutachtung historischer Fotos, die den aus Litauen stammenden baltendeutschen Angeklagten unter anderem 1941 im Einbürgerungsverfahren zeigen sollen, brachte nach Einschätzung Prozessbeteiligter keine entscheidenden neuen Erkenntnisse. Laut Gutachterin zeigt die Aufnahme von 1941 „höchstwahrscheinlich“ denselben Mann, der auf einem in der Nachkriegszeit entstandenen Foto zu sehen ist, das bei der Hausdurchsuchung von S. im Zuge der Ermittlungen gefunden wurde. Auf diesem Foto ist S. zu sehen.

Der Angeklagte, der nach Zweitem Weltkrieg und sowjetischer Kriegsgefangenschaft in der DDR lebte, bestreitet bislang, Wachmann in Sachsenhausen gewesen zu sein. In dem KZ waren von 1936 bis 1945 mehr als 200.000 Menschen inhaftiert. Zehntausende wurden ermordet oder kamen auf andere Weise ums Leben. S. soll zwischen Oktober 1941 und Februar 1945 dort als Wachmann gearbeitet haben.