Konfliktforscher: "Wäre in Sorge, wenn es keine Proteste gäbe"

Konfliktforscher: "Wäre in Sorge, wenn es keine Proteste gäbe"
22.01.2022
epd
epd-Gespräch: Stefanie Walter

Marburg (epd). Der Marburger Konfliktforscher Thorsten Bonacker hält die aktuellen Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen nicht grundsätzlich für bedenklich. „Wir haben seit zwei Jahren eine Pandemie und dadurch eine für demokratische Verhältnisse massive Einschränkung von Freiheitsrechten“, sagte der Soziologe dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Ich würde mir Sorgen machen, wenn es keine Proteste gäbe.“

Allerdings seien bei den Demonstrierenden zwei Gruppen deutlich zu unterscheiden: Die eine bilde ein „stabiles rechtsradikales Milieu“, das es schon vor der Pandemie gab, jetzt ein Ventil gefunden habe und sich durch den Einzug der AfD in die Parlamente bestärkt fühle. Dieser rechtsradikalen Gruppe müsse man mit allen Mitteln des Rechtsstaats begegnen.

Die zweite Gruppe der Demonstranten bestehe größtenteils aus einem „alternativen Milieu mit einem anti-modernen Weltbild“, das unter anderem die Schulmedizin ablehne. Diesen Menschen sollte der Rechtsstaat „mit Augenmaß“ begegnen, denn eine Demokratie müsse „auch Spielräume lassen“, betonte Bonacker. Andernfalls drohe eine Eskalation: „Es hilft nichts, diese Gruppe in ihrer Opferwahrnehmung zu stärken. Man muss sie auch ins Leere laufen lassen.“

Entscheidend für die Akzeptanz der Corona-Politik sei zudem, nur Regeln zu schaffen, die Staat und Behörden vernünftig durchsetzen können. Für eine mögliche Impfpflicht bedeute dies, Antworten zu geben auf die Fragen: „Ist das umsetzbar mit den zur Verfügung stehenden Mitteln? Und was sind die Kosten?“

Vor allem verdeutlichten die Proteste dieses alternativen Milieus, dass der Staat seine Impfkampagne viel zu schlecht erklärt habe. „Wir müssen mehr Vertrauen schaffen in das Gesundheitssystem, da besteht ein offensichtliches Problem.“ Ein weiterer schwerer Fehler sei die generelle „extreme Mittelschichtsorientierung“ der Politik: „Es gibt eine große Gruppe von Menschen in unserer Gesellschaft, die nicht zum Arzt und nicht in die Apotheke geht. Für sie müsste, überspitzt formuliert, das mobile Impfhäuschen neben der Bushaltestelle stehen.“

„Wir haben keine Spaltung der Gesellschaft“, bilanzierte der stellvertretende Geschäftsführende Direktor des Zentrums für Konfliktforschung an der Philipps-Universität. „Aber wir haben ein großes Problem bei der Aufklärung und bei der Erreichbarkeit der Leute.“