Anwaltskanzlei stellt Missbrauchsgutachten für Erzbistum München vor

Anwaltskanzlei stellt Missbrauchsgutachten für Erzbistum München vor
Es ist ein Projekt größter Geheimhaltung: Das Gutachten über sexuellen Missbrauch im Erzbistum München wird am Donnerstag präsentiert, selbst Kardinal Marx soll vorab nichts von den Inhalten wissen. Er will sich aber nun früher als geplant äußern.

München (epd). Die Münchner Anwaltskanzlei Westphal Spilker Wastl stellt am Donnerstag ein unabhängiges Gutachten zu Fällen sexualisierter Gewalt im Erzbistum München und Freising vor. Wie die Anwaltskanzlei mitteilte, gehe es um den Untersuchungszeitraum zwischen 1945 und 2019. Er umfasst auch die Amtszeiten hochrangiger Kardinäle wie Joseph Ratzinger, heute emeritierter Papst Benedikt XVI., und Reinhard Marx, der seit 2008 Münchner Erzbischof ist.

Das Erzbistum erhält die Ergebnisse des gut 1.600 Seiten starken Gutachtens nach übereinstimmenden Angaben ebenfalls erst am Donnerstag zusammen mit der Öffentlichkeit. Kardinal Marx will am Donnerstagnachmittag ein erstes Statement abgeben, wie die Pressestelle am Mittwoch mitteilte. Eine ausführliche Reaktion soll dann, wie ursprünglich geplant, eine Woche später erfolgen.

Wegen des großen Umfangs des Gutachtens werde die fundierte Befassung mit den Inhalten Zeit in Anspruch nehmen, teilte das Erzbistum weiter mit. Es bleibe daher bei der für den 27. Januar geplanten Stellungnahme zu den Ergebnissen. Kardinal Marx, Generalvikar Christoph Klingan und Amtschefin Stephanie Herrmann sei es ein Anliegen, möglichst bald mit dem Betroffenenbeirat und der Aufarbeitungskommission in der Erzdiözese in einen Austausch über das Gutachten zu treten, so das Erzbistum weiter.

Die Gutachter haben eigenen Angaben zufolge unter anderem geprüft, inwieweit „systemische Defizite“ sexuellen Missbrauch durch Kleriker begünstigt haben könnten und gingen auch der Frage von persönlicher Verantwortung nach. Opferverbände erhoffen sich unter anderem Aufklärung über die Rolle Joseph Ratzingers, der von 1977 bis 1982 Erzbischof in München und Freising war und 2005 zum Papst gewählt wurde. Er soll 1980 dem Wechsel eines Priesters aus dem Bistum Essen ins Erzbistum München und Freising zugestimmt haben, obwohl dieser zuvor einen Ministranten missbraucht haben soll.

Die Wochenzeitung „Die Zeit“ hatte Anfang Januar über die Vorwürfe berichtet und berief sich dabei auf ein außergerichtliches Dekret des Kirchlichen Gerichts der Erzdiözese München und Freising zu dem Fall. Demnach soll daraus hervorgehen, dass Ratzinger als Erzbischof von der Tat gewusst haben soll. Er wies die Vorwürfe stets zurück. 2008 soll der Priester die Missbrauchsvorwürfe zum Teil eingeräumt haben. Kardinal Marx wird vorgeworfen, den Fall nicht an den Vatikan gemeldet zu haben.

Eigentlich sollte das Gutachten bereits im vergangenen Jahr erscheinen, wurde aber wegen neuer Erkenntnisse um mehrere Monate verschoben. Die Anwaltskanzlei Westphal Spilker Wastl hat bereits Missbrauchsfälle im Bistum Aachen untersucht. Auch für das Erzbistum Köln waren die Anwälte zunächst tätig. Ihr Kölner Gutachten wurde wegen „äußerungsrechtlicher Bedenken“ jedoch vom Erzbistum unter Verschluss gehalten. Stattdessen beauftragte das Erzbistum unter Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki ein zweites Gutachten bei einem Kölner Anwalt, das im vergangenen März erschien. Wegen des Umgangs mit dem ersten Gutachten geriet Woelki unter massive Kritik und befindet sich voraussichtlich noch bis Anfang März in einer vom Papst verordneten Auszeit.