Flucht vor den Taliban - Verzweifelte Menschen am Flughafen Kabul

Flucht vor den Taliban - Verzweifelte Menschen am Flughafen Kabul
Die Taliban herrschen wieder über Afghanistan. Nur ein Teil des Flughafens von Kabul wird von Nato-Streitkräften militärisch gesichert, um möglichst viele Menschen aus dem Land zu holen. Es gibt verzweifelte Versuche, in ein Flugzeug zu kommen.

Berlin, Kabul (epd). Nach der Machtübernahme der Taliban versucht die Bundesregierung, die deutschen Staatsbürger und afghanische Ortskräfte für deutsche Organisationen aus Afghanistan herauszubringen. Regierungssprecher Steffen Seibert sprach am Montag in Berlin von „bitteren Entwicklungen“ am Hindukusch. Das Auswärtige Amt ging davon aus, dass sich eine hohe zweistellige Zahl an Deutschen noch im Land aufhält. Hinzu kommen den Einschätzungen zufolge mehrere Tausend afghanische Ortskräfte, die noch nicht evakuiert worden sind.

Seibert sagte, „als Bundesregierung haben wir in diesen Stunden klare Aufgaben und auf die sind wir konzentriert“. Das heiße, die deutschen Mitarbeiter der Botschaft sowie der in Afghanistan tätigen Organisationen außer Landes und in Sicherheit zu bringen, außerdem, „so viele der unseren Schutz suchenden afghanischen Ortskräfte wie möglich“ und mit ihnen Menschen, mit denen Deutschland in Afghanistan eng zusammengearbeitet habe etwa in der Demokratieförderung, in Menschenrechts- oder Bildungsprojekten.

Die radikalislamischen Taliban kontrollierten derweil alle Polizei-Checkpoints in der Hauptstadt Kabul. Nur kurze Zeit nach dem Rückzug der internationalen Truppen haben sie Afghanistan nach und nach übernommen. Am Sonntag rückten sie bis nach Kabul vor. „Der Krieg ist vorbei“, verkündete Taliban-Führer Mohammed Naim im TV-Sender Al Dschasira. Die Aufständischen hatten auch den Präsidentenpalast in Kabul gestürmt, nachdem Staatschef Aschraf Ghani aus dem Land geflohen war.

Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes räumte angesichts der rasanten Rückeroberung des Landes durch die Taliban ein, „unsere Einschätzung“, wie sich die Lage am Hindukusch entwickeln würde, „war falsch“. Da gebe es nichts zu beschönigen. Die internationalen Streitkräfte hielten nur noch einen Teil des Flughafens von Kabul militärisch für die Evakuierungsoperation.

Am Sonntag war das Personal der deutschen Botschaft an den Flughafen verlegt worden. 40 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen reisten daraufhin nach Katar aus. Ein „operatives Kernteam“ der Botschaft blieb laut Ministerium am Flughafen von Kabul, um weitere Flüge zu koordinieren. Laut Verteidigungsministerium sollten drei deutsche Militärmaschinen an der Evakuierungsaktion teilnehmen.

Am Flughafen von Kabul spielten sich dramatische Szenen ab: Tausende Menschen versuchten verzweifelt, einen Platz in einem Flugzeug zu finden, um Afghanistan zu verlassen. Auf Fernsehbildern war zu sehen, wie Hunderte in Panik zwischen stehenden Flugzeugen hin- und herlaufen. US-Soldaten gaben Warnschüsse ab, um zu verhindern, dass Menschen die Landebahn blockieren. In sozialen Medien wurden Videos verbreitet, auf denen Menschen zu sehen waren, die sich am Fahrwerk eines bereits rollenden Militärflugzeugs festhielten. Laut Außenamtssprecher gab es am Montagmittag „keine Flugbewegung“, weil sich eine große Zahl verzweifelter Menschen auf dem Rollfeld aufhalte.

Die deutsche Botschaft in Kabul veröffentlichte in sozialen Medien Aufrufe, dass die Flüge zur Evakuierung auf dem Weg seien. Den Betroffenen wurde geraten, nicht auf eigene Faust zum Flughafen zu kommen, sondern auf einen Anruf oder eine E-Mail zu warten. Wer nicht auf der Liste stehe, werde womöglich nicht vorgelassen, hieß es. Zudem sei der Weg zum Flughafen riskant.

Der Außenamtssprecher betonte mit Blick auf die afghanischen Ortskräfte, dass es auch „unsere Kolleginnen und Kollegen“ seien, „die hier in Lebensgefahr sind“. Alle in der Bundesregierung würden alles noch Mögliche dafür tun, um diesen Menschen zu helfen. Darüber, wie lange die Evakuierungsaktion möglich sein wird, wagte er keine Prognose. Das Bundesinnenministerium sicherte zu, dass alle Evakuierten nach Deutschland einreisen dürfen.

Der Friedensbeauftragte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Renke Brahms, kritisierte, dass die afghanischen Ortskräfte „nun um ihr Leben fürchten, weil ihnen nicht rechtzeitig geholfen wurde“.