Milizen erschweren Rückkehr der Jesiden in die Sindschar-Region

Milizen erschweren Rückkehr der Jesiden in die Sindschar-Region
2014 wurden Tausende Jesiden von Dschihadisten getötet. Fast alle Überlebenden mussten fliehen und harren in Flüchtlingscamps aus. Ein neues Gesetz verspricht Entschädigung, doch eine Rückkehr in die Heimatdörfer scheint kaum möglich.
29.07.2021
epd
Von Mey Dudin (epd)

Berlin (epd). Sieben Jahre nach dem Überfall der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) auf Jesiden im Nordirak trauen sich viele Angehörige der religiösen Minderheit noch immer nicht zurück in ihre Heimatdörfer. In der Sindschar-Region hätten sich kurdische und schiitische Milizen breitgemacht und bedrohten die Menschen, sagte der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Jesiden in Deutschland, Irfan Ortac, dem Evangelischen Pressedienst (epd). „In diesem Jahr sind einige junge Jesiden getötet worden, ohne das man weiß, wer es war.“ Das Gebirge, in das die Jesiden einst vor den Dschihadisten geflohen sind, sei heute eine Tabu-Zone.

Am 3. August 2014 hatte der Völkermord des IS an den Jesiden begonnen. Schätzungen zufolge wurden damals mindestens 5.000 Männer getötet, Tausende Frauen und Kinder verschleppt. Im Dezember 2017 verkündete der Irak die Vertreibung der Dschihadisten, aber immer noch befinden sich laut dem Zentralrat mehr als 2.670 jesidische Mädchen und Frauen in der Gewalt von Islamisten in der Region.

Derzeit werden laut Ortac in der Sindschar-Region selbst Minderjährige von kurdischen und schiitischen Milizen in der Region gezielt rekrutiert. Auch viele Mädchen würden angeworben und mit Versprechen gelockt, wonach sie als Kämpferinnen mehr Freiheiten hätten, nicht mehr auf Vater oder Bruder hören müssten oder auch, dass sie bei den Milizen lernen würden, sich zu wehren.

Ortac forderte die Bundesregierung auf, darauf zu achten, dass von den Millionen-Aufbauhilfen, die aus Deutschland in den Irak fließen, auch Regionen der Jesiden profitierten. Die Zentralregierung in Bagdad und die kurdische Regierung in Erbil müssten dafür sorgen, dass Jesiden in ihrer Heimat geschützt seien.

Im Irak ist seit März das sogenannte Gesetz für überlebende Jesidinnen in Kraft. Es sieht eine Wiedergutmachung vor allem für Jesidinnen vor, aber auch für männliche Angehörige der Religionsgemeinschaft sowie andere Überlebende der IS-Gräueltaten. Sie sollen ein monatliches Gehalt bekommen sowie Rehabilitationsleistungen. Ferner haben sie Anspruch auf ein Wohngrundstück samt Immobilienkredit oder eine kostenlose Wohneinheit. Im Gesetz wird ausdrücklich anerkannt, dass der IS Völkermord sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit an Jesiden, Turkmenen, Christen und der ethnischen Minderheit Schabak begangen hat.

Zudem wurde der 3. August zum nationalen Gedenktag bestimmt, an dem der Verbrechen an den Minderheiten im Irak gedacht wird. Ein spezielles Generaldirektorat soll nach den bis heute verschleppten Männern, Frauen und Kindern zu suchen. Wann die neuen Maßnahmen umgesetzt werden, war zuletzt aber noch unklar.

Der Jurist und Völkerrechtler Bojan Gavrilovic hat an dem Regelwerk mitgearbeitet: Nachdem der irakische Präsident die Initiative gestartet habe, hätten er und rund 30 irakischen Nichtregierungsorganisationen das Thema aufgegriffen und einen eigenen Entwurf geschrieben. „Alles, was wir für wichtig hielten, stand drin“, sagte er. Die Debatte sei nicht einfach gewesen. „Im Irak gibt es eigentlich keine Kommunikation zwischen Zivilgesellschaft und Regierung.“

Der Mitarbeiter der Jiyan Stiftung für Menschenrechte, die sich für traumatisierte Überlebende von Folter, Verfolgung und Gewalt im Irak und in Nordsyrien einsetzt, betonte: „Überlebende brauchen Unterstützung, nicht nur Geld, sondern auch medizinische und therapeutische Hilfe.“ Wichtig sei zudem die Anerkennung der Verbrechen als Genozid und die Garantie, dass sich das nicht wiederhole.

Das Gesetz sei jedoch nicht ideal, sagt Gavrilovic. So sei der Vorschlag nicht akzeptiert worden, dass neben Frauen und Mädchen auch Jungen und Männer Opfer sexualisierter Gewalt sein können. Ebenso wenig gebe es Regelungen zum Umgang mit Kindern, die infolge von Vergewaltigungen geboren wurden. „Das ist die größte Schwachstelle.“ Was erreicht worden sei, sei aber „das Maximum dessen, was im Irak derzeit möglich ist“.