TV-Tipp: "Geschichte im Ersten: Die kalten Ringe"

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19. Juli, ARD, 23.35 Uhr
TV-Tipp: "Geschichte im Ersten: Die kalten Ringe"
1961 hat die DDR die Grenze zum Westen Deutschlands geschlossen, ein Jahr später stand die Welt im Rahmen der Kuba-Krise am Rande eines Atomkriegs – und doch sollten die beiden deutschen Staaten 1964 wie schon 1956 und 1960 ein gemeinsames Team zu den Olympischen Spielen nach Tokio schicken.

Angesichts der Ereignisse der vergangenen Jahre eigentlich unvorstellbar. Der Sport, so lautete die Hoffnung von Avery Brundage, Präsident des Internationalen Olympischen Komitees, sollte helfen, die deutsch-deutschen Konflikte zu überwinden; ein frommer Wunsch, wie die Geschichte gezeigt hat.

Was aus heutiger Sicht und erst recht für Menschen unter sechzig wie eine Fußnote der Sporthistorie erscheinen mag, hat bei den Beteiligten unvergessliche Erinnerungen hinterlassen. Die Teilnahme an Olympischen Spielen ist ohnehin für die meisten Sportler die Krönung ihrer Laufbahn, aber diese waren etwas Besonderes: Japan, heißt es in der Dokumentation "Die kalten Ringe", war für Europäer damals so weit weg wie heute der Mond. Schon die Ausscheidungswettkämpfe waren äußerst ungewöhnlich, denn selbst die Sportler konnten in dieser Zeit des gegenseitigen Boykotts nicht einfach so ins Nachbarland fahren. In den Nato-Ländern gab es ein Einreiseverbot für Athleten aus der DDR. Der Kalte Krieg stellte die Sportverbände der beiden Länder vor echte organisatorische Herausforderungen. Einige Wettkämpfe mussten daher in Prag und Helsinki stattfinden.

Mindestens so wichtig wie der Kampf um die Flugtickets war das Prestige. Jede Olympia-Delegation wird von einem "Chef de Mission" angeführt, und den sollte in diesem Fall das Land stellen, das die Mehrzahl an Sportlern nach Japan schickte; das war am Ende dank der Mannschaftssportarten die DDR. Hürdenläuferin Karin Balzer erinnert sich, dass sie außerplanmäßig im Hundert-Meter-Lauf starten musste, um ihrer westdeutschen Konkurrentin das Ticket wegzuschnappen. Gold holte die frühere Weltkrekordlerin dann in ihrer Paradedisziplin.

In der Leichtathletik flogen die Siegerinnen und Sieger der Einzelwettbewerbe nach Tokio. Be Fechten und im Reiten dominierte eindeutig der Westen. Beim Turnen der Frauen war die Sache ebenfalls klar: Die biederen Darbietungen der jungen Damen aus dem Westen hatten keine Chance gegen die Riege aus dem Osten, die wie die meisten Mitglieder des Olympiakaders der DDR unter professionellen Bedingungen trainierten. Der ohnehin sportbegeisterte Walter Ulbricht war nicht nur ein großer Freund des Sports, er hatte auch früh erkannt, wie prestigeträchtig Siege bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen waren. Ähnlich wie heute im Fußball sollten Nachwuchsleistungszentren garantieren, dass kein Talent übersehen wurde.

Wie in den meisten Dokumentationen dieser Art sind es jedoch vor allem die Berichte der heute größtenteils über achtzig Jahre alten Zeitzeugen, denen dieser Film von René Wiese (Buch) und Thomas Grimm (Buch und Regie) seine berührendsten Momente verdankt. Einige der Männer und Frauen sind zwischenzeitlich verstorben, darunter neben Balzer auch Zehnkämpfer Willi Holdorf, der ebenfalls eine Goldmedaille gewann. Mit bewegenden Worten schildert er, wie während seines eigenen Wettkampfs Karin Balzer ganz in seiner Nähe über die Ziellinie sprintete; gratulieren durfte er ihr nicht. Kontakte zum Klassenfeind sollten auf Geheiß der SED unterbleiben; wer erwischt wurde, dem drohte der Ausschluss. Die Schwimmstaffel zum Beispiel war zwar gemischt, aber ein gemeinsames Training gab es nur für die Wechsel. Umso erstaunlicher, dass das Quartett am Ende Silber gewann; und umso schöner, dass trotz dieser widrigen Bedingungen Freundschaften entstanden sind. Das ostdeutsche Fußballteam setzte sich ohnehin über die Kontaktsperre hinweg und besorgte sich westdeutsche Adidas-Schuhe; die berühmten drei weißen Streifen wurden kurzerhand mit Schuhcreme geschwärzt.

Mit den achten Olympischen Spielen, den ersten in Asien, begann im Sport in gewisser Weise das moderne Zeitalter. Japan, im Zweiten Weltkrieg keine zwanzig Jahre zuvor durch den Abwurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki vernichtend besiegt, investierte die für damalige Verhältnisse schwindelerregende Summer von 2,8 Milliarden Dollar in die Sportstätten, das Olympische Dorf und die Infrastruktur. Ein hochmodernes Rechenzentrum sorgte dafür, dass die Journalisten umgehend mit allen wichtigen Daten über die zum ersten Mal überhaupt elektronisch erfassten Wettkämpfe versorgt. Tokio galt zu jener Zeit als eine der modernsten Städte der Welt; noch heute sind die Athletinnen und Athleten beeindruckt; vor allem, wenn sie an die Schwimmhalle denken, die für sie eher einer Oper glich. Neben den zeitgenössischen Filmaufnahmen präsentiert Grimm auch einige kurios anmutende Fundstücke: In den Schlagzeilen der Westpresse ist stets von der "Zone" die Rede, im Medaillenspiegel der ostdeutschen Zeitungen wurde West-Berlin gesondert aufgeführt, weil der Klassenfeind sonst vor der DDR gelegen hätte.