Haiti: Notstand nach Ermordung von Präsident Moïse ausgerufen

Haiti: Notstand nach Ermordung von Präsident Moïse ausgerufen
Nach dem Mordattentat auf den haitianischen Präsidenten Jovenel Moïse hat der amtierende Premierminister Claude Joseph den Notstand ausgerufen. Ein Machtkampf um die politische Führung wird befürchtet.

Frankfurt a.M., Port-au-Prince (epd). Nach der Ermordung des haitianischen Präsidenten Jovenel Moïse wächst die Befürchtung vor einen Machtkampf um die politische Führung. Premierminister Claude Joseph rief am Mittwochabend (Ortszeit) in einer im Fernsehen übertragenen Rede den landesweiten Notstand aus. Das Militär kann damit polizeiliche Aufgaben übernehmen, die Kompetenzen der Sicherheitsbehörden werden ausgeweitet. Es seien alle Maßnahmen ergriffen worden, um Kontinuität sicherzustellen, sagte Joseph.

Der seit 2017 amtierende Moïse war am frühen Mittwochmorgen in seinem Haus erschossen worden. Seine Frau Martine Moïse wurde bei dem Attentat schwer verletzt und ist derzeit zur medizinischen Behandlung in Florida. Sie befinde sich in einem kritischen, aber stabilen Zustand, erklärte Polizeichef Leon Charles. Die Polizei hat nach eigenen Angaben vier Tatverdächtige getötet und zwei weitere mutmaßliche Täter festgenommen. „Sie werden getötet oder verhaftet“, erklärte Charles mit Blick auf weitere mutmaßliche Täter. Drei Polizisten, die als Geisel genommen wurden, seien befreit worden.

Die Haiti-Landesdirektorin der Welthungerhilfe, Annalisa Lombardo, beschrieb die Stimmung in der Hauptstadt Port-au-Prince als ungewöhnlich ruhig. „Alle warten darauf, dass etwas passiert“, sagte Lombardo dem Evangelischen Pressedienst (epd). Sie befürchte, dass nach dem Tod Moïses ein Konflikt um seine Nachfolge ausbrechen könnte. Bereits jetzt sei die Versorgung mit humanitären Hilfsgütern in vielen Vierteln der Hauptstadt Port-au-Prince aufgrund der Kämpfe rivalisierender Gangs schwierig.

Weltweit hat das Attentat großes Aufsehen erregt. Der UN-Sicherheitsrat und die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) verurteilten den Mord. Die OAS forderte eine internationale Untersuchung, um die Täter zu finden. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell bot am Donnerstag Hilfe für Haiti an. Die EU werde „all ihre Unterstützung für eine Wiederherstellung einer tragfähigen politischen Situation für das Wohl der Bürger beibringen“, erklärte Borrell in Brüssel. Das Internationale Komitee zum Schutz von Journalisten mahnte, die Verhängung des Notstands nicht zur Einschränkung der Pressefreiheit zu missbrauchen.

Sowohl die Opposition als auch der Oberste Gerichtshof hatten die Rechtmäßigkeit von Moïses Präsidentschaft bestritten. Da keine Parlamentswahlen stattfanden, regierte Moïse in den letzten Jahren per Dekret. Während Regimekritiker den Rücktritt des Präsidenten gefordert hatten, wurde er von den EU und den USA gestützt. Vergangene Woche waren bewaffnete Banden aus ihren angestammten Vierteln in die Knotenpunkte der Hauptstadt Port-au-Prince vorgedrungen, wodurch sich die Lage weiter zuspitzte.

Katja Maurer von der Hilfsorganisation medico international machte Moïse mitverantwortlich für die Gewalt. Er habe die Gangs und Banden in Haiti gestärkt, politische Institutionen geschwächt und sei brutal gegen demokratische Bewegungen vorgegangen, sagte Maurer dem epd. Nach dem Tod Moïses gebe es nun ein Machtvakuum. Die Haiti-Expertin forderte, die politische Elite des Landes nicht weiter zu unterstützen und stattdessen die Zivilgesellschaft zu stärken. „Es braucht einen ganz neuen Blick auf Haiti“, sagte Maurer.

Haiti ist das ärmste Land Lateinamerikas. Etwa 70 Prozent der 11,2 Millionen Einwohner des karibischen Inselstaates leben in Armut.