Expertin: Behinderte Frauen erleben mehrfache Diskriminierung

Expertin: Behinderte Frauen erleben mehrfache Diskriminierung
02.06.2021
epd
epd-Gespräch: Lynn Osselmann

Berlin (epd). Behinderte Frauen werden nach Angaben der Sozialexpertin Sigrid Arnade in fast allen Lebensbereichen sowohl wegen ihrer Behinderung als auch wegen ihres Geschlechts diskriminiert. „Das bedeutet, dass sie sowohl gegenüber behinderten Männern als auch gegenüber nicht behinderten Frauen benachteiligt sind“, sagte die ehemalige Geschäftsführerin der „Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland - ISL“ dem Evangelischen Pressedienst (epd). „Konkret betrifft das zum Beispiel die Erwerbstätigkeit und die Einkommenssituation.“

Auf dem Arbeitsmarkt bildeten Frauen, die eine Behinderung haben, das Schlusslicht und hätten daher auch wenig Geld, sagte Arnade, ISL-Sprecherin für Gender und Diversity. So habe eine aktuelle Studie der Sozialorganisation Aktion Mensch ergeben, dass nur 39 Prozent der Frauen mit Schwerbehinderung erwerbstätig seien, bei den Männern dieser Gruppe seien es dagegen 48 Prozent.

Auch behinderte Mütter werden laut Arnade benachteiligt. Kindererziehung werde ihnen oftmals nicht zugetraut, gleichzeitig würden ihnen notwendige Hilfen verweigert. „Behinderten Frauen werden die Kinder manchmal sogar eher weggenommen, als dass sie die notwendige Unterstützung erhalten“, kritisierte die Aktivistin.

Auch Gewalt sei ein großes Problem. So erlebten behinderte Frauen zwei bis dreimal häufiger sexualisierte Gewalt als nicht behinderte Frauen. Den Frauen werde oftmals nicht geglaubt und sie erhielten nicht den notwendigen Schutz, weil die Thematik der mehrfachen Diskriminierung, wenn überhaupt, nur in Fachkreisen bekannt sei.

Zwar sei mittlerweile eine Reihe von Gesetzen im Sinne behinderter Frauen verändert worden. Dennoch kritisierte Arnade: „Das ist nicht ausreichend, denn die reale Lebenssituation behinderter Frauen ist nach wie vor von Armut und Diskriminierungen geprägt.“ Um das zu ändern, seien einige grundsätzliche Maßnahmen notwendig. Zum Beispiel müssten alle Anbieter von Waren und Dienstleistungen schnellstmöglich zur Barrierefreiheit verpflichtet werden, damit Mädchen und Frauen überall in Deutschland Ärzte und Gynäkologen aufsuchen und im Notfall in ein Frauenhaus flüchten könnten.

Auch die Inklusion in Kita, Schule, Ausbildung und allen anderen gesellschaftlichen Bereichen hält Arnade für einen wichtigen Schritt. „Nur so lassen sich Vorteile und Berührungsängste abbauen, nur so lässt sich das Selbstbewusstsein von Mädchen und Frauen mit Behinderungen ganz selbstverständlich steigern.“