"Meine Kirche hat Mut gezeigt"

Anna-Nicole Heinrich bedankte sich für ihre Wahlunterstützung per Videoanruf. Die Synode fand überwiegend digital statt.
©epd-Bild/Jens Schulze
Anna-Nicole Heinrich bedankte sich für ihre Wahlunterstützung per Videoanruf. Die Synode fand überwiegend digital statt.
"Meine Kirche hat Mut gezeigt"
Die neue Synodenpräses Anna-Nicole Heinrich im Interview
Mit 25 Jahren ist die Studentin Anna-Nicole Heinrich die jüngste Präses an der Spitze der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Von ihrer Wahl sei sie selbst überrascht worden, sagte sie dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auf ihr Alter will sie aber nicht reduziert werden und die laufenden Reformprozesse angesichts des Mitgliederschwunds in der Kirche aufgreifen und mitgestalten.
09.05.2021
epd
Franziska Hein und Karsten Frerichs

epd: Frau Heinrich, Ihre Wahl zur Synodenpräses hat viele überrascht. Sie auch?

Anna-Nicole Heinrich: Natürlich. Mein Name kam erst vor drei Tagen ins Spiel, und da musste ich schon überlegen: Kann ich das ausfüllen, sowohl persönlich wie auch inhaltlich? Beide Kandidatinnen standen für einen Generationswechsel. Und es ehrt und freut mich sehr, jetzt gewählt worden zu sein.

Ist es pure Freude?

Heinrich: Ich blicke auch ein bisschen ehrfürchtig auf die nächsten Tage, Wochen und sechs Jahre an der Spitze der Synode. Es ist eine große Aufgabe. Meine Kirche hat Mut gezeigt, mich in dieses Amt zu wählen.

Sie folgen an der Spitze des Kirchenparlaments als 25-Jährige auf die 79 Jahre alte ehemalige Spitzenpolitikerin Irmgard Schwaetzer. Sehen Sie das selbst als Zeichen der Verjüngung der Kirche?

Heinrich: Nein. Ich habe zwar weniger als ein Drittel der Lebenserfahrung von Irmgard Schwaetzer. Ich hoffe aber, dass ich nicht auf das Jungsein reduziert werde. Meine Aufgabe ist es, die synodalen Anliegen in unsere Kirche einzubringen. Aber natürlich unterscheide ich mich in Sprache und Auftreten maßgeblich von meiner Vorgängerin. Wir sind zwei Kinder unterschiedlicher Generationen, und trotzdem verstehen wir uns gut.

"Eine offene, missionale Kirche"

Über viele Jahre hinweg spielte ein Parteienproporz bei der Vergabe von Spitzenämtern in der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) eine Rolle. Bei Ihrer Wahl haben Sie sich gegen die Grünen-Politikerin Nadine Bernshausen durchgesetzt. Wo stehen Sie politisch?

Heinrich: Ich gehöre keiner Partei an und bin auch nicht parteipolitisch engagiert.

Und für welche Kirche stehen Sie?

Heinrich: Ich möchte eine offene, missionale Kirche repräsentieren, die sich hoffentlich nicht zu stark leiten lässt von politischen Positionierungen, jedoch immer wieder Bezug auf gesellschaftliche Themen nimmt.

Wie ist Ihre persönliche Glaubenspraxis?

Heinrich: Theologisch würde ich mich als liberal bezeichnen, aber in meiner Glaubensausübung doch auch charismatisch.

Was sind für Sie die wichtigsten Themen der neuen Synodenperiode?

Heinrich: Ein wichtiges Thema sind die Zukunftsprozesse. Wir müssen das Paket, das die letzte Synode gepackt hat, jetzt aufnehmen und uns Ziele setzen. Wir müssen diese Prozesse mit den Erfahrungen der letzten Monate verbinden. Wir müssen die Pandemie-Zeit reflektieren, Gutes bewahren und die geistlichen und theologischen Herausforderungen in den Blick nehmen.

"Nicht auf die Stimme der Betroffenen verzichten"

Ihre Vorgängerin Irmgard Schwaetzer hat dafür plädiert, zur nächsten Synode wieder Betroffene von Missbrauch einzuladen. Wollen Sie das auch?

Heinrich: Eine umfassende Aufarbeitung sexualisierter Gewalt ist selbstverständlich nur unter Beteiligung der Betroffenen möglich. Wir wissen um die Fälle von Missbrauch in unserer Kirche und haben in den Diskussionen der letzten Tage gesehen, dass das ein bewegendes, sensibles und zugleich ein schwieriges Thema ist. Eine Aufarbeitung ohne die Beteiligung von Betroffenen wird nicht funktionieren. Und wenn es im Moment so wirken kann, als ob die bisherige Form der Beteiligung über den Betroffenenbeirat in einer Sackgasse stecke, ist es wichtig, dass Betroffene beteiligt sind an den Entscheidungen, und dass wir uns eingestehen, dass wir auch Fehler machen als Kirche. Ein wichtiges Zeichen ist, dass wir als Synode, als kirchenleitendes Gremium nicht auf die Stimme der Betroffenen verzichten und ihre Interessen in den Mittelpunkt stellen. Anders wären wir nicht glaubwürdig.

In einer Woche findet der Ökumenische Kirchentag in Frankfurt am Main statt, wegen der Pandemie weitgehend digital. Werden Sie teilnehmen?

Heinrich: Ich habe für mich privat geplant, einige Veranstaltungen zu besuchen. Das sind aber keine offiziellen Termine als neue Präses.

Wie blicken Sie auf die Ökumene und die katholisch-evangelischen Beziehungen?

Heinrich: In der Ökumene müssen wir uns trauen, den Blick zu weiten. Auch die Zusammenarbeit mit den katholischen Geschwistern ist mir wichtig. Eine der ersten Gratulationsmails kam vom Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing. Ich hoffe auf ein gutes Miteinander, um gemeinsam zu zeigen, dass Kirche auf dem Weg und christlicher Glaube auch heute relevant ist.

Würden Sie nach Frankfurt kommen und könnten Sie an einem konfessionellen Gottesdienst beim Kirchentag teilnehmen, welchen würden Sie sich denn aussuchen - den katholischen, den evangelischen, den freien evangelischen oder den orthodoxen?

Heinrich: Ich würde den orthodoxen Gottesdienst besuchen, weil ich da am neugierigsten bin und bislang die wenigsten Berührungspunkte hatte.