Anwalt von Stephan E. plädiert auf Totschlag

Anwalt von Stephan E. plädiert auf Totschlag
Im Prozess um den tödlichen Anschlag auf Walter Lübcke plädiert die Verteidigung des Angeklagten Stephan E. auf Totschlag. Arglosigkeit und niedrige Beweggründe als Voraussetzungen für eine Verurteilung wegen Mordes lägen nicht vor.

Frankfurt a.M. (epd). Im Prozess um den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke haben die Strafverteidiger des Hauptangeklagten Stephan E. die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft zurückgewiesen. Die Kölner Anwälte Mustafa Kaplan und Jörg Hardies plädierten stattdessen am Donnerstag vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main auf Totschlag im Fall Lübcke. Die Bundesanwaltschaft wirft E. den Mord an Walter Lübcke in der Nacht vom 1. auf 2. Juni 2019 in Wolfhagen-Istha und versuchten Mord an dem Asylbewerber Ahmed I. am 6. Januar 2016 in Lohfelden vor.

Der Strafverteidiger Kaplan führte aus, dass Arglosigkeit und niedrige Beweggründe als Voraussetzungen für eine Verurteilung wegen Mordes nicht vorlägen. Lübcke sei in der Tatnacht zwar wehrlos, aber nicht arglos gewesen, denn Stephan E. und Markus H. hätten den Regierungspräsidenten feindselig angesprochen und E. habe die Pistole im Anschlag gehalten. Niedrige Beweggründe lägen auch nicht vor, denn Stephan E. habe keine Vorteile aus der Tat für sich erlangen wollen. Die Tötung von Lübcke sei für E. ein politisches Ziel gewesen. Er sei vom Irrglauben geleitet gewesen, eine Tat für die Allgemeinheit zu tun.

Stephan E. und Markus H. hätten Lübcke gezielt als Opfer ausgewählt, weil sie wegen dessen Aussagen auf der Bürgerversammlung in Lohfelden im Oktober 2015 dachten, Lübcke bevorzuge Flüchtlinge und benachteilige Deutsche. Die jahrelange Hetze im Internet gegen Lübcke habe E. in dem Glauben bestärkt, dass Lübcke für die Kriminalität von Ausländern verantwortlich sei. Dazu habe E. immer wieder Hinrichtungsvideos unschuldiger Zivilisten durch islamistische Terroristen angesehen.

Kaplan betonte, dass es Stephan E. im Prozess darum gegangen sei, "im Gericht die Wahrheit zu sagen und aufzuklären". Die unterschiedlichen Versionen seiner drei Geständnisse hätten seine Glaubwürdigkeit untergraben, aber deren Ursache sei bei E.s früheren Rechtsanwälten zu suchen. Die Version der Alleintäterthese vom 25. Juni 2019 stamme von Dirk Waldschmidt, die Version mit dem Schuss durch Markus H. vom 8. Januar und 5. Februar 2020 "ist nichts anderes als Schmierentheater der schlechtesten Sorte, erfunden von Rechtsanwalt Dirk Hannig".

Kaplan machte die Bundesanwaltschaft für die unterschiedlichen Geständnisse mitverantwortlich. Warum hätten Waldschmidt und Hannig rasch Besuchsscheine bekommen, obwohl sie von E. nicht angefragt worden seien und dieser bereits einen Pflichtverteidiger gehabt habe, fragte er. Oberstaatsanwalt Dieter Killmer spreche von einem Prozess von historischer Bedeutung - "und dann erhalten Szeneanwälte Besuchsscheine hintergeschmissen", ätzte Kaplan. Die Bundesanwaltschaft erhoffe sich "Prozessvorteile durch Geständniswirrwarr", argwöhnte der Verteidiger.

Der zweite Strafverteidiger Jörg Hardies bezeichnete den zweiten Vorwurf der Bundesanwaltschaft gegen Stephan E., versuchter Mord an dem Asylbewerber Ahmed I., als "hanebüchen und an den Haaren herbeigezogen". Kein einziges Beweismittel belege den Vorwurf. Alle von der Anklage angeführten Indizien sagten nichts aus.

Selbst die DNA-Spur an Blutresten eines Messers, das die Polizei in E.s Keller sicherstellte, sei nach Aussage des Sachverständigen eine Mischspur, die von zwei oder mehr Personen stamme. Damit sei keine Wahrscheinlichkeit der Übereinstimmung mit der DNA des Opfers bestimmbar. Auch die Aussagen des Geschädigten und Nebenklägers begründeten keinen Beweis. Ahmed I. habe schon in den Vernehmungen direkt nach der Tat widersprüchliche Aussagen gemacht und im Prozess sich an keinerlei Personenbeschreibung erinnern können, seine Glaubwürdigkeit sei nachhaltig beschädigt.

Hardies warf der Bundesanwaltschaft vor, sie versuche Stephan E. die Tat an Ahmed I. allein aus prozesstaktischen Gründen anzuhängen, um für E. die Sicherungsverwahrung fordern zu können. Dem Rechtsanwalt I.s und Nebenkläger Alexander Hoffmann warf Hardies vor, aus politischen Gründen "gebetsmühlenhaft zu wiederholen, I. sei Opfer eines rechtsextremistischen Anschlags geworden" und für das "Fehlen jeglicher Beweise latenten Rassismus bei der Polizei" verantwortlich zu machen.