Lübcke-Mord: Nebenklage kritisiert Bundesanwaltschaft

Lübcke-Mord: Nebenklage kritisiert Bundesanwaltschaft
Im Prozess zum Mord an Walter Lübcke macht der Anwalt der Opfer-Familie eine Differenz zur Bundesanwaltschaft deutlich: Die Nebenklage fordert, den Mitangeklagten Markus H. wegen Mittäterschaft beim Mord und nicht nur wegen Beihilfe zu verurteilen.

Frankfurt a.M. (epd). Im Prozess zum Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke hat der Anwalt der Familie Lübcke, Holger Matt, die Einzeltäterthese der Anklage kritisiert und gefordert, den Mitangeklagten Markus H. (44) wegen Mittäterschaft zu verurteilen. "Ohne H. hätte es den Mord an Walter Lübcke nicht gegeben", sagte Matt am Dienstag in seinem Plädoyer vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main, in dem er die Vorwürfe gegen H. in den Mittelpunkt stellte.

Matt und die Familie Lübcke gehen davon aus, dass nicht nur der mutmaßliche Schütze Stephan E., sondern auch H. in der Nacht vom 1. auf den 2. Juni 2019 auf der Terrasse des Hauses Lübcke gewesen ist, aber nicht geschossen hat. So hatte es E. zuletzt in seinen Aussagen vor Gericht geschildert. "Wir glauben dem Angeklagten E., dass er uns die Wahrheit gesagt hat", sagte Matt.

Für ihn und die Familie laute die zentrale Frage: "Wen hat Walter Lübcke in den letzten Sekunden seines Lebens angeschaut?" Das war nach Auffassung von Matt der 44 Jahre alte Angeklagte H.: Dieser habe den im Sessel sitzenden Politiker nach vorne hin abgelenkt, während E. von der Seite her den "horizontalen Hirndurchschuss" abgegeben habe. Die DNA-Spur von E. an Lübckes Hemd sei durch eine Berührung vor dem Schuss entstanden und nicht nach dem Schuss. Leider habe das Gericht weitere Untersuchungen der Gartenmöbel, der Kopfhaltung Lübckes und auch Testschüsse abgelehnt, sagte Matt.

Bundesanwalt Dieter Killmer hingegen nimmt an, dass der 47 Jahre alte Stephan E. gemäß dessen erstem Geständnis kurz nach der Tat den Mord allein begangen hat. Killmer hatte im Dezember für E. die Höchststrafe gefordert, lebenslange Haft mit besonderer Schwere der Schuld und anschließende Sicherheitsverwahrung für den Mord an Walter Lübcke und für einen versuchten Mord aus rassistischer Gesinnung an einem Asylbewerber aus dem Irak.

H. soll zum Mord "psychische Beihilfe" in Form von Gesprächen und Schießübungen geleistet und den Mord billigend in Kauf genommen haben, hatte der Oberstaatsanwalt ausgeführt. Hinzu komme illegaler Waffenbesitz. Killmer hatte im Dezember für Markus H. insgesamt neun Jahre und acht Monate Haft für Beihilfe gefordert. H. hat bisher zu den Beihilfe- und Mittäter-Vorwürfen geschwiegen.

Die unterschiedlichen Auffassungen von Kläger und Nebenkläger beruhen auf unterschiedlichen Interpretationen des Aussageverhaltens von E., der vor und während des Prozesses seine Schilderungen mehrfach geändert hatte. Die Bundesanwaltschaft kritisiert dies als ein der jeweiligen Situation angepasstes Aussageverhalten und glaubt dem letzten Geständnis nicht. Matt und die Familie hingegen sehen dies als Folge von intensiver "dynamisch konstruktiver" Fragetechnik der Beteiligten vor Gericht: "Wir glauben, dass die Wahrheit herausgefragt wurde", sagte Matt.

Ein Hinweis darauf, dass das Gericht unter Vorsitz von Thomas Sagebiel wie die Anklage von einer Einzeltäterschaft E.s ausgeht, ist der Beschluss des Senats vom 1. Oktober 2020, mit dem er den Haftbefehl gegen H. aufgehoben hatte. Das kritisierte Matt erneut scharf und sprach von Mängeln und Irrtümern im Beschluss.

Zu Beginn seines Plädoyers ging Matt auf die politische und gesellschaftliche Wirkung des rechtsextremistischen Anschlags auf einen Politiker ein, der für die Werte des Grundgesetzes und "immer auch gegen Rechtsextremismus aufgetreten" sei. So verstehe die Familie ihre Nebenklage als Eintreten "für die wehrhafte Zivilgesellschaft" - bei "allem Schmerz", den diese Beteiligung mit sich bringe, zumal sie den Angeklagten H. "in fast jeder Minute dieses Prozesses grinsend" erlebe.

Scharfe Kritik übte der Anwalt auch an den Verfassungsschutzbehörden. Ihnen warf er in Bezug auf E. und H. "Komplettversagen" vor. Der Staat dürfe aber "nie wieder auf dem rechten Auge blind oder naiv agieren", sagte er.

Der Prozess hatte im Juni 2020 begonnen. Am Donnerstag sollen die Verteidiger von Stephan E. ihr Plädoyer halten, der Urteilsspruch ist für Ende Januar vorgesehen.