Gutachter: 175 Hinweise auf Missbrauch im Bistum Aachen

Gutachter: 175 Hinweise auf Missbrauch im Bistum Aachen

Aachen (epd). Gutachter haben Hinweise auf mindestens 175 Fälle sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen durch Kleriker im Bistum Aachen gefunden. Die meisten Opfer seien zwischen acht und 14 Jahren alt gewesen, heißt es in dem am Donnerstag veröffentlichten Gutachten der Münchner Anwalts-Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl. Die Anwälte, die im Auftrag des Bistums Akten im Zeitraum zwischen 1965 und 2019 prüften, gehen von insgesamt 81 Tätern aus, darunter 79 Priester und zwei Diakone. Das Gutachten gehe nur auf die gefundenen Hinweise ein und treffe keine Aussage über die tatsächliche Dimension sexuellen Missbrauchs durch Priester, hieß es.

Die Gutachter kritisierten in einer Online-Konferenz eine "unverdiente Milde", mit der die katholische Kirche die Beschuldigten behandele. Für die Opfer habe Entsprechendes nicht gegolten. Lediglich fünf der Priester und ein Diakon seien aus dem Klerikerstand entlassen worden. Nur in gravierenden Einzelfällen habe das Bistum Missbrauch durch Kleriker bei der Staatsanwaltschaft angezeigt. Erst seit 2010 habe sich diese Praxis grundlegend geändert.

Als Ursache für die mangelnde Aufklärung von Missbrauch in der Vergangenheit nannten die Gutachter Klerikalismus sowie die Tabuisierung des Themas Sexualität in der katholischen Kirche. So seien teilweise Priester erneut als Seelsorger eingesetzt worden, obwohl sie nachweislich Kinder oder Jugendliche missbraucht hätten. Persönliche Verantwortung sieht das Gutachten unter anderem beim früheren Bischof Heinrich Mussinghoff, der das Bistum Aachen bis 2015 leitete sowie seinem früheren Generalvikar Manfred von Holtum.

Die Anwälte lobten die Zusammenarbeit mit dem Bistum Aachen. Die Gutachter hätten schnellen Zugang zu allen gewünschten Akten bekommen. Der Aachener Bischof Helmut Dieser sowie Generalvikar Andreas Frick, die das Gutachten am Donnerstag in Empfang nahmen, waren nach Angaben der Kanzlei nicht vorab über die Ergebnisse informiert.

Das Erzbistum Köln hatte ebenfalls ein ähnliches Gutachten bei der Münchner Kanzlei in Auftrag gegeben, die Veröffentlichung aber Ende vergangenen Monats abgesagt. Erzbischof Rainer Maria Woelki warf den Anwälten vor, die Anforderungen an eine unabhängige Untersuchung nicht erfüllt zu haben. Woelki gab stattdessen ein neues juristisches Gutachten beim Kölner Strafrechtler Björn Gercke in Auftrag.