Leidenschaftliche Bundestags-Debatte über neue Corona-Einschränkungen

Leidenschaftliche Bundestags-Debatte über neue Corona-Einschränkungen
Der Bundestag hat am Morgen nach den Bund-Länder-Beschlüssen über die harten Einschnitte zur Eindämmung der Corona-Infektionen debattiert. Künftig will er vorher mitreden, kritisieren Oppositionspolitiker. Eine Mehrheit steht aber zu den Beschlüssen.

Berlin (epd). In einer lebhaften, teils leidenschaftlich geführten Debatte hat sich der Bundestag am Donnerstag mit den neuen Corona-Maßnahmen befasst. Dabei ging es auch um die Rolle des Parlaments. Die Opposition forderte, die Entscheidungen müssten im Bundestag fallen. SPD und Union kündigten Gesetzesänderungen an, die dem Parlament mehr Kontroll- und Entscheidungsmöglichkeiten geben und warben für eine gemeinsame Initiative aller demokratischen Fraktionen im Parlament.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) eröffnete die Debatte mit einer Regierungserklärung. Unterbrochen von Zwischenrufen verteidigte sie die drastischen Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens, die die Spitzen von Bund und Ländern am Mittwochabend beschlossen hatten. Sie seien "geeignet, erforderlich und verhältnismäßig", sagte Merkel in die Unruhe des Plenums hinein. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) musste zweimal ordnend eingreifen, damit die Kanzlerin weitersprechen konnte.

Sie verstehe die Frustration und Verzweiflung aller, die trotz ihrer Anstrengungen und Hygienekonzepte schließen müssten, sagte Merkel. Es gebe aber gegenwärtig kein milderes Mittel als konsequente Kontaktbeschränkungen, um die Pandemie auf ein beherrschbares Niveau zu bringen. Restaurants, Kultur- und Freizeiteinrichtungen sollen ab der kommenden Woche für den ganzen November schließen. Die Bürger sollen ihre privaten Kontakte auf ein Minimum reduzieren.

Die Pandemie stelle die Demokratie auf eine "besondere Bewährungsprobe", sagte Merkel und betonte, es sei richtig, wichtig und unverzichtbar, dass diese Maßnahmen diskutiert, kritisiert und auf Angemessenheit hin befragt werden. Die Debatte schwäche die Demokratie nicht, sondern stärke sie, sagte sie mit Blick auf Forderungen nach einer stärkeren Beteiligung der Parlamente bei Entscheidungen über Eingriffe in die Grundrechte.

Der FDP-Fraktionsvorsitzende Christian Lindner entgegnete Merkel, wenn die parlamentarische Debatte die Demokratie stärken solle, müsse sie vor der Entscheidung geführt werden. Die Wirtschaft habe sich auf diesen Herbst vorbereitet, die Politik nicht. Nun müssten die Betriebe den Preis für die aktionistischen und teils widersprüchlichen Maßnahmen zahlen. Das sei "unfair", sagte Lindner.

Der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland sprach von einer "Corona-Diktatur". Die Regierung setze falsche Prioritäten, urteilte Gauland, nicht Gesundheit, sondern Freiheit sei das höchste Gut: "Wir müssen abwägen, auch um den Preis, dass Menschen sterben."

Der Unionsfraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus (CDU) wies Lindners Vorwurf des Aktionismus zurück und lenkte den Blick auf die Opfer, die alle zu bringen hätten: "Dieses Land kämpft, und es kämpft in einer beeindruckenden Art und Weise", rief Brinkhaus. An Gauland gerichtet erklärte der Christdemokrat, Freiheit sei auch die Freiheit der Schwachen. In einer Pandemie treffe man immer auch Entscheidungen für die anderen mit. "Um es ganz klar zu sagen", sagte Brinkhaus: "Der Tod eines Menschen ist irreversibel."

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich warb bei der Opposition mit Ausnahme der AfD um eine gemeinsame Initiative für eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes, um dem Parlament mehr Kontrollmöglichkeiten zu geben. Dazu zähle, die Ermächtigung der Regierungen konkreter zu fassen, Maßnahmen wie die Maskenpflicht auf eine klare gesetzliche Grundlage zu stellen sowie Verordnungen befristen und aufheben zu können, erläuterte Mützenich. Die Zeit aber, in der die Regierungen maximale Flexibilität bräuchten, sei noch nicht vorbei, betonte er zugleich.

Die Grünen signalisierten ihre Mitarbeit an gesetzlichen Änderungen und ihre grundsätzliche Zustimmung zu den neuen Maßnahmen. Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt warf der Regierung aber vor, auf die jetzige Lage nicht vorbereitet gewesen zu sein. Aus der Infektionskrise sei damit auch eine Vertrauenskrise für Politik und Bevölkerung geworden, kritisierte sie.

epd bm/co/mey jup