Merkel: Virus ist "Zumutung für die Demokratie"

Merkel: Virus ist "Zumutung für die Demokratie"
Am 23. Mai 1949 wurde das Grundgesetz verkündet. Der 71. Jahrestag am Samstag stand unter dem Eindruck der Corona-Pandemie. Die Kanzlerin verteidigte Einschränkungen von Grundrechten im Kampf gegen das Virus als notwendig.

Berlin (epd). Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat um Verständnis für die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie geworben. In ihrem Videopodcast sprach sie am Samstag erneut davon, dass das Virus "eine Zumutung für die Demokratie" sei, und betonte, dass die Regierung es sich mit den Beschränkungen von Grundrechten nicht einfach mache. Nach Ansicht des neuen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, sind alle Grundrechte trotz der Maßnahmen gewahrt.

In ihrem Podcast aus Anlass der Verkündung des Grundgesetzes vor 71 Jahren erklärte Merkel, sie könne die Sorgen der Menschen angesichts der Einschränkungen verstehen. Das bisherige Vorgehen sei jedoch notwendig gewesen, "weil wir uns der Würde der Menschen verantwortlich fühlen, so wie es im Artikel 1 unseres Grundgesetzes gesagt ist". Dazu habe gehört, eine Überforderung des Gesundheitssystems zu verhindern, was auch gelungen sei.

Lockerungen der Beschränkungen seien immer wieder begründungspflichtig, hob Merkel hervor. Die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen müsse immer wieder abgewogen werden. "Deshalb bin ich sehr froh, heute sagen zu können, dass die derzeitige Infektionslage es ermöglicht, schon viele Dinge wieder zu erlauben und möglich zu machen, die einige Wochen nur eingeschränkt da waren", sagte die Regierungschefin.

Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Harbarth, betonte, dass es wegen der Pandemie "weder eine Aussetzung der Grundrechte auf Dauer noch eine Aussetzung im Augenblick" gebe. "Die Grundrechte gelten, aber sie gelten anders als vor der Krise", sagte er der "Oldenburger Nordwest-Zeitung" (Samstag). Grundrechte stünden abgesehen von der Menschenwürde nicht absolut. "Oft müssen mehrere Grundrechte, die in ein Spannungsverhältnis treten, bestmöglich zur Geltung gebracht werden."

Einige Grundrechte würden in Corona-Zeiten in einer anderen Weise als vor der Pandemie ausgeübt, betonte der oberste Richter. So fänden etwa Demonstrationen unter Wahrung von Mindestabständen statt. "Das Recht auf Versammlungsfreiheit gilt. Es gibt aber anders als vor der Krise neue Formen der Durchführung."

Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger forderte die Politik auf, die Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie permanent zu überprüfen und auch wieder "zurückzuführen". "Die Grundrechte sind so massiv eingeschränkt worden, wie wir es noch nie kannten in den 71 Jahren unseres Grundgesetzes", sagte die FDP-Politikerin am Samstag im Radiosender WDR5.

Es sei ein "absolutes Muss", nun klar zu regeln, unter welchen Voraussetzungen mehr Bewegungsfreiheit beispielsweise in Kitas und im Reiseverkehr möglich sei, fügte Leutheusser-Schnarrenberger hinzu. Teilweise würden Regierungen inzwischen von Gerichten zu Lockerungen und Öffnungen gezwungen, etwa im Blick auf das Versammlungsrecht.

Die nordrhein-westfälische Antisemitismusbeauftragte warnte indirekt davor, das Demonstrationsrecht von Kritikern und Gegnern der Anti-Corona-Maßnahmen zu beschneiden. "Versammlungsfreiheit gehört essenziell zu unserem Zusammenleben, auch in Pandemie-Zeiten, auch wenn Unsinn gefordert werden sollte", betonte die ehemalige Justizministerin. Dafür gebe es Schutzkonzepte, deren Einhaltung die Polizei effektiv und mit Augenmaß kontrollieren müsse.

epd fu