Experte: Systemrelevante Berufe nicht nur in Corona-Krise anerkennen

Experte: Systemrelevante Berufe nicht nur in Corona-Krise anerkennen
24.03.2020
epd
epd-Gespräch: Jana-Sophie Brüntjen

Düsseldorf (epd). Damit Menschen in systemrelevanten Berufen künftig angemessen bezahlt werden, fordern Experten auch nach der Corona-Krise Anerkennung für diese Arbeiten. "Es nützt nichts, jetzt schöne Sonntagsreden über diese Gruppen zu hören, die danach wieder vergessen werden", sagte Thorsten Schulten, Arbeitsmarktexperte am Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Düsseldorf. Das Gedächtnis der politisch Verantwortlichen sei manchmal sehr kurz. Der aktuelle krisenbedingte Aufwertungstrend der Arbeit von Pflegekräften, Kassiererinnen und anderen Menschen, die die Grundversorgung aufrechterhalten, werde daher "kein Selbstläufer sein".

Die Lohnungleichheit habe besonders in den 2000er-Jahren stark zugenommen und unter anderen jene Berufsgruppen stark getroffen, die für die Aufrechterhaltung der kritischen Infrastruktur verantwortlich seien, sagte Schulten. Besonders zwischen Industrie und Dienstleistung habe sich die Schere vergrößert. Auch in den Krankenhäusern seien die Löhne vergleichsweise gering gestiegen. Hinzu kämen Einsparungen im Gesundheits- und Sozialsektor: "Dass das ein Fehler ist, sieht man jetzt unter anderem in Italien, wo nach der Finanzkrise 2008 sehr stark gespart wurde, besonders deutlich", sagte Schulten.

Einen weiteren entscheidenden Grund für die geringe Bezahlung sieht der Tariffachmann im relativ niedrigen gewerkschaftlichen Organisationsgrad in Gesundheits- und Pflegberufen. Dies schränke die Durchsetzungsfähigkeit der Gewerkschaften in Lohnverhandlungen ein. Auch der Gender Pay Gap - also die allgemeinen Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen - spiegele sich in der Bezahlung der systemrelevanten Berufsgruppen wider: In Sektoren wie der Sozial- und Pflegebranche, in denen viele Frauen arbeiten, würden öfter niedrige Löhne gezahlt.

Schulten forderte die Politik auf, nach der Krise "nicht einfach wieder zur Tagesordnung überzugehen, sondern zu begreifen, dass so existenzielle Dinge wie die Gesundheitsversorgung nicht von privaten Trägern abhängig gemacht werden können". In Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften müssten Regeln und Finanzierungen für eine angemessene Bezahlung der Menschen in den systemrelevanten Berufen gefunden werden.

Was die gesellschaftliche Anerkennung anbelangt, zeigte sich Schulten relativ optimistisch: Die Zustimmung vieler Eltern während des Kita-Streiks 2015 habe beispielweise gezeigt, dass es in der Bevölkerung "bis zu einem gewissen Grad viel Verständnis dafür gibt, dass diese Berufe aufgewertet werden müssen".