TV-Tipp: "Praxis mit Meerblick: Alte Freunde"

Altmodischer Fernseher vor einer Wand
Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Praxis mit Meerblick: Alte Freunde"
6.3., ARD, 20.15 Uhr
Wenn eine TV-Reihe über einen langen Zeitraum erfolgreich sein soll, muss es den Machern gelingen, eine wichtige Voraussetzung zu erfüllen: Die Mitwirkenden sollten den Zuschauern wie alte Freunde vorkommen, mit denen man sich regelmäßig trifft.

Ist das geschafft, spielt es auch keine Rolle, wenn zwischen den Begegnungen zwölf Monate liegen; deshalb ist Nora Kaminski (Tanja Wedhorn), die Heldin von "Praxis mit Meerblick", umgehend wieder präsent. Bei den Nebenfiguren mag sich hingegen manch’ ein Zuschauer wie auf einem großen Familienfest fühlen, bei dem man sich zwischendurch fragt, wer wohl wie mit wem verwandt ist.

Das beeinträchtigt den Genuss des siebten Films aber keineswegs, zumal Michael Vershinin, auf dessen gemeinsam mit Lars Albaum verfassten Drehbuch 2017 auch die Auftaktepisode ("Willkommen auf Rügen") basierte, eine interessante Geschichte erzählt, deren Hintergrund zurück in die letzten Jahre der DDR führt. Der Titel, "Alte Freunde", ist nur scheinbar eine Anspielung auf die Beziehung zwischen Hauptfigur und Publikum, tatsächlich gehört er eigentlich in Anführungszeichen: Als Noras neuer Praxispartner, der nach vielen Jahren in der Schweiz nach Rügen zurückgekehrte Hannes Stresow (Benjamin Grüter), eines Morgens einem ihrer Patienten begegnet, begrüßen sich die Männer auf seltsam verkrampfte Weise: Die beiden waren mal gute Freunde, bis ein Ereignis sie zutiefst entzweit hat.

Während in anderen Freitags-"Medicals" der ARD ("Die Eifelpraxis", "Die Inselärztin") neben der emotionalen Ebene meist medizinische Herausforderungen im Vordergrund stehen, gibt Noras Patient Thorsten Thieme (Kai Ivo Baulitz) keine gesundheitlichen Rätsel auf: Der Schulleiter hat vor zehn Jahren den Krebs besiegt. Nun scheint die Krankheit zurückzukehren; tatsächlich leidet er jedoch unter einem Herzklappenfehler. Weil der notwendige Eingriff zwar Routine, aber dennoch mit Risiken verbunden ist, will Thieme die alte Schuld begleichen, die ihn mit Stresow verbindet.

Aus Sicht der Stammzuschauer dürfte jedoch Noras Privatleben viel interessanter sein, denn es kommt zu einer überraschenden Wiedervereinigung zwischen der Ärztin ohne Doktortitel und ihrem Ex-Mann Peer (Dirk Borchardt). Der Anwalt aus Berlin hat sich auf Rügen Ferienwohnung und Boot zugelegt, fühlt sich aber vom Kinderwunsch seiner jungen Frau allzu sehr unter Druck gesetzt. Schauspielerin Julia Schäfle wird im Rahmen der drei Filme, die das "Erste" heute und an den beiden kommenden Freitagen zeigt, nur als Episodendarstellerin geführt; damit ist klar, dass dieser Figur keine größere Zukunft beschieden ist.

Für die Qualität von "Alte Freunde" steht nicht zuletzt Jan Růžička. Der Regisseur hat für die ARD-Tochter Degeto bereits vorzügliche Arbeiten für den Sendeplatz geliefert, als anspruchsvolle Zuschauer noch einen großen Bogen um die seichten Freitagsfilme gemacht haben. Diesmal ist ihm allerdings ein gut sichtbarer Lapsus unterlaufen: Als Thieme von der Diagnose erfährt, ist er entsprechend betroffen; das erklärt, warum er sein Hemd falsch zugeknöpft hat. Nach einem Schnitt, aber in immer noch derselben Szene sind die Knöpfe wie durch Zauberhand alle am richtigen Platz. Unmittelbar drauf folgt ein völlig überflüssiges Holzhammerbild: Nora macht Thieme nichts vor und informiert ihn darüber, dass die Operation nicht ohne Risiko ist; in diesem Moment fährt ein Leichenwagen vorbei.

Umso besser ist Růžička wie stets die Arbeit mit den Schauspielern gelungen, zumal viele Handlungsstränge geschickt eingefädelt sind: Der Film beginnt mit einer Auseinandersetzung am FKK-Strand, als Thieme ein bekleidetes Pärchen auf die Gepflogenheiten diesem Strandabschnitt hinweist. Weil der Streit offenbar eskaliert ist, kommt es überhaupt erst zur Untersuchung durch Nora. Sehr sympathisch ist auch das von langer Hand vorbereitete Finale, als eine Combo, die auf sehr ungewöhnliche Weise zusammengefunden hat, ein Gartenkonzert gibt: mit Thieme am Schlagzeug, Noras altem Widersacher Heckmann (Patrick Heyn) am Saxophon, ihrem Patienten Kubatsky (Michael Kind) am Bass und dessen Neffen an der Gitarre. Der junge Mann hatte sich kurz zuvor eine Krankschreibung erschwindelt, weil er zu einem musikalischen Workshop wollte. "Wir sind alle keine Engel", entschuldigt ihn sein Onkel, und das gilt nach ihrer Nacht auf Peers Boot auch für die Ärztin. Für besonders viel Vergnügen sorgen schließlich die Dialogduelle zwischen den beiden Praxispartnern, zumal Nora ihrem Kollegen manch’ bösen Spruch an den Kopf wirft. Es ist nicht zuletzt diese Mixtur, die den Reiz der Reihe ausmacht: Die Geschichten sind mal Drama, mal romantische Komödie; da lässt sich sogar das Überangebot an Schmusepopsongs verkraften.