Evangelische Bischöfe fordern am Reformationstag Toleranz ein

Evangelische Bischöfe fordern am Reformationstag Toleranz ein
Aufrufe zu Toleranz bestimmten die Predigten zum Reformationstag in diesem Jahr. In Berlin plädierte Bischof Dröge für einen Tag der Verständigung. In Stuttgart feierten Protestanten und Katholiken ihre Annäherung in den vergangenen Jahrzehnten.

Wittenberg/Berlin (epd). Bei den Feiern am diesjährigen Reformationstag haben evangelische Geistliche zu mehr Toleranz aufgefordert. In einem Gottesdienst in der Schlosskirche in Wittenberg wandte sich die stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, am Donnerstag gegen Ausgrenzung. Gegenwärtig zögen Spuren von Menschenverachtung und hasserfüllter Wut durch sämtliche Teile Europas und der ganzen Welt, sagte die westfälische Präses. Sie forderte, den Mund aufzumachen, "wo die Würde und die Freiheit anderer in den Dreck gezogen werden".

Der Bischof der hannoverschen Landeskirche, Ralf Meister, sagte: "Wir leben in Zeiten, in denen Rassismus, Antisemitismus und Fremdenhass wieder laut werden." Der Berliner Bischof Markus Dröge schlug angesichts von völkischem Gedankengut und Übergriffen auf Juden vor, "den Reformationstag als einen Tag interreligiöser Verständigung insgesamt zu begehen".

Der jüdische und christliche Glaube an Gott führe zur Zuwendung zu Anderen, unabhängig von ihrer Herkunft oder Religion, sagte der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung laut vorab veröffentlichtem Predigtmanuskript in Wiesbaden. "Wer sich von Gottes Wahrheit und seiner Liebe leiten lässt, kann nicht anders, als Hassreden zu widersprechen", sagte er.

Der Reformationstag erinnert an die Veröffentlichung der 95 Thesen gegen Missstände in der mittelalterlichen Kirche durch Martin Luther (1483-1546) am 31. Oktober 1517. Luther soll sie der Überlieferung zufolge an die Tür der Wittenberger Schlosskirche angebracht haben. In Wittenberg gibt es am Reformationstag traditionell ein Fest mit Gottesdiensten, Konzerten und einem Marktspektakel. Nach Angaben der Stadt kamen in diesem Jahr rund 30.000 Besucher.

Die andere große Kirche Wittenbergs, die Stadtkirche, steht derzeit selbst im Fokus einer Debatte um Antisemitismus. Seit langem tobt ein Streit um die Frage, ob das umstrittene Relief "Judensau" von ihrer Fassade entfernt werden soll. Die Vize-EKD-Ratsvorsitzende Kurschus plädierte für die Entfernung. "Ich finde, dass Antisemitismus in unserer Gesellschaft nichts verloren hat", sagte sie im "Mittagsmagazin" des ZDF am Rande des Gottesdienstes in Wittenberg. Alles, was Antisemitismus befördern könnte, "sollten wir tatsächlich aus der Öffentlichkeit verbannen", fügte sie hinzu.

Luthers Thesen lösten die Reformation aus, die die Spaltung in evangelische und katholische Kirche zur Folge hatte. Im Zentrum stand die sogenannte Rechtfertigungslehre, nach der der Mensch allein durch Gnade, Glaube und die Schrift - die Bibel - vor Gott besteht und nicht durch Taten wie das Zahlen von Ablass. 1999 unterzeichneten der Lutherische Weltbund und die römisch-katholische Kirche eine Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre, nach der sie dieses Verständnis grundsätzlich teilen.

In Stuttgart erinnerte am Donnerstagabend ein ökumenischer Gottesdienst an diesen kirchengeschichtlich bedeutsamen Schritt vor 20 Jahren. Lutheraner, Katholiken, Methodisten, Reformierte und Anglikaner begingen das Jubiläum in der Stuttgarter Stiftskirche. Der evangelische württembergische Landesbischof Frank Otfried July sagte laut vorab veröffentlichten Predigtauszügen, inzwischen sei das Miteinander der Kirchen viel selbstverständlicher.

epd lde/co et