Demokratieprojekte fordern mehr Geld für Antisemitismusprävention

Demokratieprojekte fordern mehr Geld für Antisemitismusprävention
Antisemitismusforscher Salzborn spricht von «himmelschreiender Groteske»
Die Wut ist groß: Vertreter von Demokratie- und Antisemitismus-Präventionsprojekten werfen Bundesregierung und Politik Versagen bei der Bekämpfung von Judenfeindlichkeit vor. Die geplanten Mittelkürzungen seien eine "himmelschreiende Groteske".

Berlin (epd). Vertreter von Demokratie- und Antisemitismus-Präventionsprojekten fordern vom Bund eine langfristige Förderung ihrer Arbeit. Durch Kürzungen im Bundesprogramm "Demokratie leben!" des Bundesfamilienministeriums stünden zahlreiche Demokratieprojekte vor dem Aus, darunter bewährte und breitenwirksame Projekte gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus, kritisierten unter anderem Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung, Ulrike Becker vom Mideast Freedom Forum Berlin, Seyran Ates von der Berliner Ibn Rushd Goethe Moschee und Lala Süsskind vom Jüdischen Bildungswerk für Demokratie - gegen Antisemitismus am Mittwoch in der Bundeshauptstadt.

Insbesondere ab dem Jahr 2021 drohten Kürzungen, die die jahrelange Bildungsarbeit zivilgesellschaftlicher Initiativen zunichtemachten. Vom Bund fordern die Initiativen eine Regelförderung, die ihnen ermöglicht, über viele Jahre kontinuierlich weiterzuarbeiten. Zudem müssten die Mittel auf 200 Millionen Euro aufgestockt werden. Die von der Bundesregierung beschlossenen Maßnahmen gegen Antisemitismus nannte Kahane "halbgar", solange die Zivilgesellschaft dabei außen vor bleibt. "Wenn man die Zivilgesellschaft nicht mitnimmt, wird sich gar nichts ändern", sagte Kahane.

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hatte am Mittwoch angekündigt, dass es für das Bundesprogramm "Demokratie leben!" bis 2023 pro Jahr mindestens 115,5 Millionen Euro geben soll, gegebenenfalls auch mehr. Zunächst war das Programm um acht Millionen Euro gekürzt worden, was Giffey nach Protesten dann wieder zurücknahm.

Der Gießener Antisemitismus- und Rechtsextremismusforscher Samuel Salzborn sprach von einer "himmelschreienden Groteske". Nach dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle seien alle überrascht vom Ausmaß des Antisemitismus in der Gesellschaft. Gleichzeitig seien die Bildungs- und Präventionsinitiativen seit Jahren damit allein gelassen worden und sollen jetzt noch weniger Gelder bekommen. "Wir sollten dieses Feld aber nicht der Desinformation und Propaganda überlassen", warnte Salzborn.

Die frühere Vorsitzende der Berliner Jüdischen Gemeinde, Lala Süsskind, warf Bundesregierung und Politik vor, "total versagt" zu haben bei der Bekämpfung des Antisemitismus. Mit der Einsetzung von ständig neuen Antisemitismusbeauftragten sei es nicht getan, sagte Süsskind: "Das ist nichts anderes als sich freilügen." Auch die Bundeskanzlerin sollte aufhören mit "Lippenbekenntnissen".

Die Gründerin einer liberalen Moschee und Rechtsanwältin Seyran Ates sagte, sie sei "extrem enttäuscht" von Bundesfamilienministerin Giffey. Die SPD-Politikerin habe im Vorfeld den Demokratieprojekten viel versprochen und dann nichts davon eingelöst.

Die Expertise der Projekte dürfe nicht verloren gehen, sagte Ulrike Becker vom Mideast Freedom Forum. Der Kampf gegen Antisemiten dürfe sich nicht nur auf den repressiven Bereich beschränken. Intervention und Bildungsangebote seien genauso wichig, sagte Becker.