Stadt unter Schock

Stadt unter Schock
Debatte über Sicherheit für Juden nach Synagogen-Anschlag von Halle
Zahlreiche Menschen bringen nach dem Synagogen-Anschlag von Halle ihre Trauer über das Geschehen zum Ausdruck. Auch Bundespräsident Steinmeier und Innenminister Seehofer werden vor Ort erwartet.

Halle/Berlin (epd). Während nach dem Synagogen-Anschlag von Halle Politiker und Einwohner am Tatort ihre Solidarität mit der jüdischen Gemeinde zum Ausdruck bringen, rücken auf politischer Ebene Sicherheitsfragen in den Mittelpunkt. Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, warf den Behörden in Sachsen-Anhalt Versäumnisse vor. Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) machte Politiker der AfD für die Tat mitverantwortlich.

Am Donnerstagvormittag fand eine Mahnwache am Anschlagsort statt. Daran nahmen unter anderem Grünen-Bundestagsfraktionschefin Katrin Göring-Eckardt, der sachsen-anhaltische SPD-Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby und die Linken-Politikerin Petra Sitte teil. Zahlreiche Menschen bekundeten vor Ort ihre Trauer um die zwei Toten. Sie legten Blumen am Anschlagsort nieder und entzündeten Kerzen.

Im Tagesverlauf wollten auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) den Tatort an der Synagoge besuchen und mit Vertretern der jüdischen Gemeinde sprechen. Begleitet wird der Bundespräsident vom israelischen Botschafter in Deutschland, Jeremy Issacharoff, sowie von Zentralratspräsident Schuster.

Im sachsen-anhaltischen Halle waren am Mittwoch während eines Gottesdienstes zum jüdischen Feiertag Jom Kippur in der Nähe einer Synagoge zwei Menschen erschossen worden. Der Täter soll versucht haben, in die Synagoge einzudringen, was aber misslang. Am frühen Nachmittag wurde ein Verdächtiger festgenommen. Laut Innenminister Seehofer ist von einem antisemitischen Motiv und einem rechtsextremistischen Hintergrund auszugehen.

Die Stadt befindet sich nach den Worten von Oberbürgermeister Bernd Wiegand (parteilos) im Schockzustand. "Die Bevölkerung kann das kaum verarbeiten", sagte er am Donnerstag im ZDF-"Morgenmagazin". Wiegand betonte, dass seine Stadt "kein rechtsextremes Zentrum" sei.

Der bayerische Innenminister Herrmann machte Politiker der AfD für die Tat mitverantwortlich. "Das eine sind die schrecklichen Gewalttäter", sagte Herrmann dem Radiosender Bayern2. Das andere seien auch "die geistigen Brandstifter, da sind in letzter Zeit auch einige Vertreter der AfD in unverschämter Weise aufgefallen". Namentlich nannte Herrmann den Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke. Dieser sei einer der geistigen Brandstifter, wenn es darum gehe, "wieder mehr Antisemitismus in unserem Land zu verbreiten".

Zentralratspräsident Schuster kritisierte am Donnerstag im Deutschlandfunk die Sicherheitsbehörden in Sachsen-Anhalt: "Offensichtlich hat man dort die Situation im Vorfeld verkannt." Bei den meisten Synagogen sei es üblich, dass zu Gottesdienstzeiten ein Polizeiposten an dem Gotteshaus steht. In Sachsen-Anhalt sei das nach seiner Kenntnis offensichtlich nicht die Regel. Bundesweit war unmittelbar nach dem Anschlag die Polizeipräsenz vor jüdischen Einrichtungen erhöht worden.

Schuster sagte, mit dem Anschlag von Halle und dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke im Sommer habe der Rechtsextremismus in Deutschland eine neue Qualität erreicht. Gott sei Dank sei es in Halle zu keinem Massaker gekommen, da der Angreifer vergeblich versucht habe, die Tür zur Synagoge zu öffnen. Schuster forderte, die deutschen Behörden müssten sicherstellen, dass ein Jude, der in eine Synagoge geht, sicher sein könne, dass er dort auch wieder unbeschadet herauskomme.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker äußerte sich ebenfalls "zutiefst schockiert". Seine Gedanken und Gebete seien "bei den Familien und Freunden der Opfer und der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland und ganz Europa, die in den letzten Jahren immer wieder Ziel antisemitischer Angriffe wurde", schrieb Juncker auf Twitter: "Der zunehmende Antisemitismus muss alle Europäerinnen und Europäer zum Handeln aufrufen."