Mehr als 600 Straftaten gegen Flüchtlinge im ersten Halbjahr

Mehr als 600 Straftaten gegen Flüchtlinge im ersten Halbjahr
Regierung in Brandenburg warnt vor «problematischer Interpretation»
Die Zahl der Straftaten gegen Flüchtlinge und deren Unterkünfte sinkt leicht, liegt aber weiter auf hohem Niveau. Auch im ersten Halbjahr 2019 wurden Asylbewerber in Hunderten Fällen Opfer von Straftaten.

Berlin (epd). Die Polizei hat im ersten Halbjahr dieses Jahres mehr als 600 politisch motivierte Delikte gegen Flüchtlinge registriert. Für das zweite Quartal verzeichnet die Statistik 330 Straftaten, wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken hervorgeht, die dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt und über die zuerst die "Neue Osnabrücker Zeitung" (Donnerstag) berichtet hatte. Die Zahlen für die ersten drei Monate wurden nach Angaben der Linksfraktion durch Nachmeldungen auf 279 korrigiert.

Auch für das zweite Quartal sei noch mit Nachmeldungen zu rechnen. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gingen die Zahlen leicht zurück. Allein 160 Delikte wurden demnach in Brandenburg registriert. Das dortige Innenministerium warnte am Donnerstag vor einer "problematischen Interpretation der Zahlen".

Die weit überwiegende Mehrheit der Straftaten war den Angaben zufolge rechtsextrem motiviert. Neben Delikten, die sich gegen Asylbewerber richteten, registrierte die Polizei von Januar bis Ende Juni 60 Taten, die eine Flüchtlingsunterkunft zum Ziel hatten. Dazu kamen 42 Attacken gegen Hilfsorganisationen oder ehrenamtliche Helfer. Bei den Übergriffen seien 102 Menschen verletzt worden, darunter sieben Kinder, berichtete die Zeitung.

Zu den Übergriffen zählen neben gewalttätigen Angriffen und Körperverletzungen auch Propagandadelikte. So handelte es sich bei den 160 registrierten Delikten in Brandenburg nach Angaben des dortigen Innenministeriums in 101 Fällen um Volksverhetzungen. Davon betrafen allein 77 Delikte umstrittene Wahlplakate der NPD im Europawahlkampf mit Slogans wie "Stoppt die Invasion. Migration tötet. Widerstand jetzt." Ob diese Art von Propaganda in anderen Bundesländern auch als Volksverhetzung gezählt wird, "ist dem Innenministerium nicht bekannt", sagte Ministeriumssprecher Ingo Decker.

Er warnte vor einer "problematischen Interpretation der Zahlen" und der Entstehung eines "schiefen Eindrucks" von dem Bundesland. Die 77 umstrittenen Fälle, die sich im Grunde genommen einer besonderen Wachsamkeit Brandenburgs gegenüber rechtsextremer Propaganda verdankten, trügen nun maßgeblich zu dem Eindruck bei, dass das Land für Flüchtlinge ein ganz besonders gefährliches Pflaster sei. "Wir haben es hier mit einem der Fälle zu tun, bei dem auch nüchterne Zahlen in die Irre führen und so einen letztlich schiefen Eindruck hervorrufen können", sagte Decker.

Von den insgesamt gemeldeten 160 Straftaten gegen Flüchtlinge seien 19 politisch motivierte Körperverletzungsdelikte gewesen. "Jeder dieser Fälle ist ein Fall zu viel. Das ist völlig klar", sagte Decker.

Straftaten gegen Flüchtlinge und deren Unterkünfte hatten seit der Fluchtbewegung 2015 enorm zugenommen. 2016 hatte es der Statistik politisch motivierter Kriminalität zufolge 995 Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte gegeben. 2018 lag die Zahl bei 173. Die häufigsten Delikte waren demnach Körperverletzungen und Brandstiftungen. 1.770 Straftaten richteten sich 2018 gegen Flüchtlinge außerhalb der Unterkünfte. Rund 800 davon wurden im ersten Halbjahr 2018 gemeldet.

epd lob/co kfr