EKD-Bevollmächtigter: Gemeinden werden weiter Kirchenasyle anbieten

Portrait Martin Dutzmann vor der Franzoesischen Friedrichstadtkirche am Gendarmenmarkt in Berlin.
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Prälat Martin Dutzmann vor der Franzoesischen Friedrichstadtkirche am Gendarmenmarkt in Berlin.
EKD-Bevollmächtigter: Gemeinden werden weiter Kirchenasyle anbieten
Das Kirchenasyl ist in den vergangenen Jahren unter Druck geraten. Der Staat will seltener dulden, dass Kirchengemeinden abgelehnten Asylbewerbern bei denen sie einen Härtefall erkennen, Schutz geben. Seit dem Wechsel an der Spitze des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge gehen kaum noch Fälle positiv für die Betroffenen aus. Der Bevollmächtigte der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in Berlin, Martin Dutzmann, erzählt, warum die Gemeinden dennoch nicht aufgeben werden.

In den ersten vier Monaten dieses Jahres hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) nur zwei Kirchenasyle als Härtefälle anerkannt, 145 dagegen abgelehnt. Geben Kirchengemeinden Menschen zunehmend Schutz, die das gar nicht brauchen?

Martin Dutzmann: Nein, das sehen wir anders. Die Kirchengemeinden prüfen sehr sorgfältig die Fälle, bevor sie ein Kirchenasyl gewähren. Wenn sie nicht davon überzeugt wären, dass eine humanitäre Härte gegeben ist, würden sie sich die Arbeit nicht machen, die mit dem Kirchenasyl verbunden ist. Die Ursache für den Rückgang der sogenannten Selbsteintritte, also dass Deutschland sich für die Fälle selbst zuständig erklärt, liegt beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Das ist dort so gewollt.

Bamf-Präsident Hans-Eckhard Sommer bestreitet das. Er sagt, durch die Steigerung der Qualität der Asylverfahren erkenne die Behörde Härtefälle inzwischen selbst. Haben Sie daran Zweifel?

Dutzmann: Ich glaube schon, dass das Bundesamt mehr Härtefälle identifiziert als früher. Gleichwohl bleiben aber Härtefälle übrig, die Kirchengemeinden erkennen, weil sie die Menschen und deren Geschichten kennengelernt haben. Dieser Rest bleibt - und um den geht es.

Haben Sie ein Beispiel?

Dutzmann: Geschildert wurde mir zum Beispiel die Situation einer Frau, die über Libyen nach Italien kam. In Libyen wurde sie bereits Opfer von Menschenhandel, wurde zwangsprostituiert. In Italien wurde sie ebenfalls zur Prostitution gezwungen und ist mit HIV infiziert worden. Der Situation in Italien ist sie entkommen, indem sie nach Deutschland weitergeflohen ist. Nach der Dublin-Verordnung müsste sie zurück nach Italien, wovor eine deutsche Kirchengemeinde sie bewahren will, denn ihre Zuhälter haben sie schon einmal in Italien gefunden. Das Bundesamt aber sagt: Die Rückführung ist möglich, in Italien gibt es ausreichende medizinische Versorgung und im Übrigen könne sie dort ja in ein Frauenhaus gehen. Das ist aus unserer Sicht keine angemessene Reaktion.

Früher haben Kirchengemeinden solche Fälle quasi ausgesessen, weil nach sechs Monaten ohnehin die Frist für die Überstellung ablief. Inzwischen wurde sie auf 18 Monate erhöht. Machen die Kirchengemeinden das so weiter?

Dutzmann: Es wird für alle schwerer. Für die Kirchengemeinden und ganz besonders für die Menschen, die im Kirchenasyl leben und in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt sind. Die Frustration unter denen, die sich in den Gemeinden für geflüchtete Menschen einsetzen, ist groß.

"Das Kirchenasyl wird gebraucht"

Ist denn die Zahl der Kirchenasyle bereits zurückgegangen?

Dutzmann: 2018 gab es 1.246 Dublin-Fälle im Kirchenasyl, in den ersten vier Monaten 2019 bislang 375. Das bewegt sich also auf gleichem Niveau. Einen Knick gab es im August 2018, als die Fristverlängerung wirksam wurde. Eines ist aber klar: Die Kirchengemeinden werden weiter Kirchenasyl gewähren. Dort, wo sie die Not von Menschen sehen, werden sie auch eingreifen. Das tun sie aus Gründen ihres Glaubens und davon wird sie niemand abhalten, auch keine 18-Monats-Frist.

Wie geht es jetzt weiter?

Dutzmann: Wir hatten wiederholt Gespräche mit dem Bamf-Präsidenten Hans-Eckhard Sommer und auch mit Bundesinnenminister Horst Seehofer. Dabei haben wir deutlich gemacht, dass wir die Entwicklung mit großer Sorge sehen. Das Kirchenasyl wird gebraucht. Eine Gemeinde, die einen Menschen begleitet, erkennt vielleicht eine humanitäre Notlage, die der Staat nicht sieht. Insofern ist und bleibt das Kirchenasyl ein auch für den Staat am Ende gutes, ergänzendes Element. 

Und mit dieser Sicht beißen Sie beim Gegenüber auf Granit?

Dutzmann: Die Gespräche sind atmosphärisch sehr freundlich, in der Sache aber hart. Wir sehen, dass das Bundesamt daran interessiert ist, das Kirchenasyl zu reduzieren und dann zu sagen: Das ist überflüssig. Das sehen wir anders und deshalb werden die Kirchengemeinden auch weiter Kirchenasyl gewähren - selbstverständlich innerhalb des Verfahrens, das wir mit dem Bundesamt vereinbart haben.