TV-Tipp: "Tatort: Murot und das Murmeltier" (ARD)

Alter Fernseher vor gelber Wand
Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Tatort: Murot und das Murmeltier" (ARD)
17.2., ARD, 20.15 Uhr
"Immer versucht. Immer gescheitert. Einerlei. Wieder versuchen. Wieder scheitern. Besser scheitern." Natürlich kennt Dietrich Brüggemann das berühmte Zitat von Samuel Beckett. Und ebenso sicher kennt er die aufwändige Hollywood-Produktion "Edge of Tomorrow" (2014).

In dem Science-Fiction-Film spielt Tom Cruise einen Soldaten, der am Tag der entscheidenden Schlacht gegen Invasoren aus dem Weltraum immer wieder aufs Neue stirbt, dabei aber jedes Mal dazulernt. So ähnlich geht es auch Felix Murot (Ulrich Tukur) in der verblüffenden "Tatort"-Episode "Murot und das Murmeltier". Die Titelanspielung auf den Komödienklassiker "Und täglich grüßt das Murmeltier" deutet bereits an, was dem Wiesbadener LKA-Kommissar in dieser für einen Sonntagskrimi höchst ungewöhnlichen Geschichte widerfährt. Schon die erste Szene, die den "Tatort"-Vorspann aufgreift, ist ein untrüglicher Hinweis, dass dieser Krimi anders als die anderen sein wird.

 

Der Film beginnt mit einem Traum, der durch einen Anruf beendet wird: Kollegin Wächter (Barbara Philipp) ruft Murot zu einem Banküberfall mit Geiselnahme. Der Kommissar betrachtet den Einsatz etwas überheblich als Routine, schließlich weiß man doch, wie so was abläuft: viel Geld in kleinen Scheinen, ein vollgetanktes Auto, Flucht. Prompt wird er unsanft von seinem hohen Ross geholt und von der Komplizin (Nadine Dubois) des Gangsters erschossen. Zum Glück entpuppt sich das Erlebnis ebenfalls als Alptraum, doch das Erwachen ist nur der Anfang einer neuen Zeitschleife, die erneut mit Murots Ableben endet. Ähnlich wie der Soldat in "Edge of Tomorrow" – Filmmotto: "Leben. Sterben. Wiederholen" - muss Murot ein knappes Dutzend Tode erleiden, bis ihm klar wird: Die Zeitschleife endet erst, wenn nicht nur er selbst, sondern auch die beiden Geiselnehmer lebend aus der Sache rauskommen.

Brüggemann (Buch und Regie), mehrfach geehrt für die melancholische Tragikomödie "Renn, wenn du kannst" über einen Rollstuhlfahrer, hat 2017 für den SWR seinen ersten Krimi gedreht; "Stau", ein ebenso fesselnder wie kurzweiliger "Tatort" aus Stuttgart, war ein Kammerspiel auf der Straße und ist mit dem Deutschen Fernsehkrimipreis ausgezeichnet worden. Mit"Murot und das Murmeltier" setzt der Regisseur die Tradition des Hessischen Rundfunks fort, in seinen Fernsehfilmen auch sonntags für eine Überraschung gut zu sein; und das nicht nur wegen des formidablen Shakespeare-Westerns "Im Schmerz geboren" (Grimme-Preis 2015, ebenfalls mit Tukur). Die Qualität des Drehbuchs zeigt sich gerade im Detail, schließlich besteht der Reiz von Zeitschleife-Filmen in den Variationen des Erlebten. Immer wiederkehrende Elemente sind beispielsweise die laute Musik von Murots Nachbar (Daniel Zillmann), eine Joggerin (Katharina Schlothauer) mit offenem Schuh sowie eine Mutter (Anna Brüggemann), deren bockiges Kind in den Kommissar hineinrennt. Zu den unerwarteten Wendungen gehört unter anderem, dass der Nachbar und die Joggerin ebenfalls zu Tode kommen. Zur Abwechslung ignoriert Murot das Verbrechen auch mal und fährt zu Kaffee und Kuchen aufs Land. Zwischendurch setzt er dem Treiben höchstselbst ein mutwilliges Ende, erschießt das Telefon, fährt im Schlafanzug zum Tatort oder stellt sich den Kollegen dort als Abgesandter der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien vor (die gibt es wirklich). Ein ähnliches Spiel treibt Brüggemann mit den zum Teil recht witzigen Versatzstücken auf dem Bankvorplatz, wo Tukur von der Kamera (Alex Sass) regelmäßig regelrecht umzingelt wird; das ist gewissermaßen die optische Variante zur Zeitschleife.

Anders als der arrogante Wetteransager aus "Und täglich grüßt das Murmeltier", der seinem Schicksal erst entkommt, als er ein besserer Mensch wird, muss sich Murot jedoch nicht läutern, um das Muster durchzubrechen. Dafür wird er wie der Held des Kampfs gegen die Aliens in "Edge of Tomorrow" mit jedem Durchlauf klüger und stellt schließlich verdutzt fest, dass es dem Geiselnehmer Gieseking (Christian Ehrich) genauso geht wie ihm: Während alle anderen Beteiligten den Tag jedes Mal aufs Neue erleben, weiß der Bankräuber, dass sich die Ereignisse ständig wiederholen. Er sieht allerdings keinerlei Veranlassung, den Teufelskreis zu durchbrechen, sondern freut sich vielmehr, dass ihn der Tod unsterblich macht. 

Natürlich lässt sich "Murot und das Murmeltier" nicht nur als Moritat über die Gleichförmigkeit des Seins, sondern auch als Satire auf die immer wieder gleichen Abläufe im deutschen TV-Krimi betrachten; aber das stellt Brüggemann nie in den Vordergrund. Dafür sorgt nicht zuletzt Ulrich Tukur, der ein weiteres Mal unter Beweis stellt, welch’ enormen darstellerischen Spielraum selbst eine so festgelegte Figur wie ein "Tatort"-Kommissar bieten kann, wenn sie ihren Rahmen sprengen darf; Slapstick-Humor hat im Sonntagskrimi große Seltenheit und dem Schauspieler garantiert großen Spaß bereitet. Ein Genuss ist auch die gleichfalls von Brüggemann komponierte große Kinomusik, mit der das HR-Sinfonie-Orchester wagnerianische Akzente setzt. Davon abgesehen ist die Botschaft des Krimis durchaus sympathisch. Selbst wenn sich die Tage gleichen: Es ist nicht verboten, das Beste draus zu machen.