TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Tatorte" (ARD)

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TV-Tipp: "Polizeiruf 110: Tatorte" (ARD)
16.12., ARD, 20.15 Uhr: "Polizeiruf 110: Tatorte"
Die "Polizeiruf"-Episoden mit Matthias Brandt waren stets besondere Filme. Dafür standen der Hauptdarsteller, der den Münchener Ermittler aus der Riege der Sonntagskommissare im "Ersten" herausragen lässt, aber dafür stand auch die Figur Hanns von Meuffels; und das nicht nur wegen der adeligen Herkunft.

Der Status der Krimis zeigt sich zudem an der Riege der Regisseure, die zu den besten ihres Fachs gehören, allen voran Dominik Graf ("Cassandras Warnung", "Smoke on the Water"), Hans Steinbichler ("Denn sie wissen nicht, was sie tun", "Schuld"), Hermine Huntgeburth ("Sumpfgebiete"), Rainer Kaufmann ("Nachtdienst") oder Christian Petzold ("Kreise", "Wölfe"). Obwohl der Bayerische Rundfunk seit 2011 nur 15 Episoden produzieren ließ, haben Brandt und Meuffels größere Spuren hinterlassen als die meisten anderen Fernsehpolizisten. Nicht jeder Film mag preiswürdig gewesen sein, aber alle waren sehenswert; und viele mehr als das.

Petzold (Buch und Regie) hat nun auch die Abschiedsepisode geschrieben und inszeniert; mit "Tatorte" vollendet er darüber hinaus die eigene Trilogie, weshalb wie schon zuvor auch diesmal wieder Barbara Auer als Constanze Hermann mitwirkt. Die Hamburger Kollegin hat zwischenzeitlich kurz bei Meuffels gewohnt, ist aber bereits wieder weiter nach Nürnberg gewandert. Prompt hat der Kommissar ausgesprochen schlechte Laune und kann sich kaum auf seine Arbeit konzentrieren, was schließlich tragische Folgen hat. Geschickt verknüpft Petzold Beruf und Privatleben, auch wenn Meuffels die Ermittlungsarbeit in erster Linie seiner überaus eifrigen und hochtalentierten neuen Mitarbeiterin Nadja Micoud (Maryam Zaree) überlässt. Für sie ist der Fall klar: Ein Mann hat seine Frau auf dem Gelände eines Autokinos hingerichtet. Das geschiedene Paar hat einen Kampf ums Sorgerecht für die gemeinsame Tochter ausgefochten, nun wollte die Frau ihren Ex offenbar mit Sexfotos aus einem Swingerclub erpressen. Meuffels glaubt die These jedoch nicht, obwohl das Mädchen den Mann belastet, denn der Mörder hat nicht nur versucht, auch die Tochter zu töten, sondern zudem die Mappe mit den belastenden Fotos am Tatort zurückgelassen. Aber eigentlich ist der Polizist vor lauter Liebeskummer ohnehin bloß mit halbem Herzen bei der Sache.

Schon der clevere Titel deutet an, dass Petzold mehr als nur einen üblichen Sonntagskrimi im Sinn hatte. "Tatorte" bezieht sich auf die neue Arbeit von Constanze: Die Kommissarin ist jetzt Ausbilderin beim LKA in Nürnberg und arrangiert Tatorte mit scheinbaren Selbstmorden; erst ein Blick auf die Details verrät, dass die Opfer nicht freiwillig aus dem Leben geschieden sind. Der Film beginnt mit dem Mord im Autokino und wechselt dann zu Meuffels, der angeblich beim Zahnarzt, in Wirklichkeit aber unterwegs nach Nürnberg ist, wo er Constanze zur Rückkehr überreden will. Bei der Rückfahrt trifft er Nadja, die ihm mit ihrem Elan alsbald auf die Nerven geht. Außerdem macht sie bei ihrem Bericht ständig Kunstpausen, um ihm die Gelegenheit zu geben, Fragen zu stellen und auf diese Weise einen Dialog entstehen zu lassen. Die gebürtige Iranerin Maryam Zaree, Hauptdarstellerin von Burhan Qurbanis Migrations- und Religionsdrama "Shahada", hat schon in einigen anderen Reihenkrimis als Episodendarstellerin auf sich aufmerksam gemacht. Der amtsmüde Meuffels und die engagierte Kollegin wären bestimmt ein spannendes Duo geworden, selbst wenn der Kontrast – hier der unleidliche ältere Kommissar, dort die vor Sozialkompetenz sprühende deutlich jüngere Kollegin – keine neue Kombination am Sonntagabend im "Ersten" ist.

Wie schon "Kreise" und "Wölfe" fällt auch "Tatorte" deutlich aus dem üblichen Rahmen. Im Grunde ist Petzold ohnehin kein Krimiregisseur. Der für seine Dramen mit Nina Hoss gefeierte Filmemacher ist dank preisgekrönter Filme wie "Die innere Sicherheit", "Yella" oder "Wolfsburg" der wohl prominenteste Vertreter der "Berliner Schule", deren Werke sich durch unprätentiöse, realitätsnahe Bilder auszeichnen. Typisch für diese Arbeitsweise ist in "Tatorte" der weitgehende Verzicht auf Filmmusik; wenn überhaupt, dann handelt es sich um "natürliche" Quellen, weil Meuffels im Autoradio melancholische Klassik hört oder daheim die Four Tops auflegt. Umso lauter knattert das flatternde Absperrband auf dem Autokinoparkplatz. Auch optisch ist Petzolds dritter "Polizeiruf" unspektakulär, dafür aber umso reicher an Dialogen. Dass dies der inneren Spannung keinen Abbruch tut, liegt an den vorzüglichen Leistungen von Brandt und Zaree sowie der Aufgabenverteilung: Während sie sich in den Fall vertieft, hadert er mit Constanzes Auszug. Außerdem muss er sich ein neues Telefon kaufen, weil er sein Smartphone nach einem Gespräch mit der Ex-Freundin an die Wand geworfen hat. Auf diese Weise arrangiert Petzold ein Wiedersehen mit Anna Burnhauser (Anna Maria Sturm); bei einem zufälligen Treffen im Park hilft ihm die junge Partnerin aus den ersten fünf Filmen, die Sim-Karte im neuen Gerät zu installieren. Der Gastauftritt ist mehr als nur eine nette nostalgische Geste, denn Anna kann nun erklären, warum sie damals nicht mehr mit dem Kommissar zusammenarbeiten wollte. Auch Nadja muss unter Meuffels’ gelegentlichen Wutausbrüchen leiden, die mitunter aber ähnlich aufgesetzt wirken wie einige seiner Belehrungen ("Die Welt ist nicht immer so wie um 20.15 Uhr"). Vollends zusammenhanglos ist eine Szene, in der die Eltern des verdächtigen Vaters ihren in eine Art Schockstarre gefallenen im Sohn im Krankenhaus besuchen und die Mutter hemmungslos und unmotiviert auf den Mann einprügelt. Das Finale vor dem etwas zu lang geratenen Epilog ist dafür umso schockierender.