TV-Tipp: "Polizeiruf: Mörderische Dorfgemeinschaft"

Altmodischer Fernseher steht auf Tisch
Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Polizeiruf: Mörderische Dorfgemeinschaft"
11.8., ARD, 20.15 Uhr
Eigentlich schade, dass der Titel dieses "Polizeirufs" schon alles verrät. Allerdings wird ohnehin recht bald klar, dass der mutmaßlich ermordete Jurij in dem wie ausgestorben wirkenden Dorf irgendwo bei Magdeburg nicht viele Freunde hatte.

Der Mann hatte einen Schlag bei den Frauen und hat das offenbar auch weidlich ausgenutzt, weshalb schon mal sämtliche männlichen Einwohner verdächtig sind. Ein Vater hat ihm sogar viel Geld gegeben, damit er abhaut. Nun ist Jurij tatsächlich verschwunden, doch sein Auto ist noch da, und im Kofferraum findet sich derart viel von seinem Blut, dass er vermutlich tot ist. Allerdings gibt es keine Leiche. Ohne Leiche kein Mord, ohne Mord kein Mörder; das Dorf scheint mit der Tat davonzukommen. Aber dann erhalten die Ermittler grausige Post, und weil das Päckchen neben Jurijs Hand auch Katzenstreu enthält, ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie mit Hilfe von Leichenspürhunden die finsteren Details der Tat rekonstruiert haben.

Das Beste an "Mörderische Dorfgemeinschaft" ist vielleicht der Umstand, dass sich der "Polizeiruf" aus Magdeburg auf den Fall und nicht so sehr auf die beiden Hauptfiguren konzentriert. Die Krimis aus Sachsen-Anhalt wollten sich viel zu lange durch die ungewöhnlichen zentralen Rollen profilieren: Hauptkommissarin Brasch (Claudia Michelsen) als Typ einsame Wölfin mit Motorrad und Sohn in der Neonazi-Szene, ihr Partner ein schwuler Eigenbrötler. Als Sylvester Groth nach fünf Filmen ausstieg, entschlossen sich die Verantwortlichen, den Platz an der Seite der zu kollegialem Miteinander unfähigen Brasch einem friedlichen Zeitgenossen mit großer Sozialkompetenz zu überlassen. Das war vor allem deshalb eine gute Idee, weil sich Brasch an der Gelassenheit des Kollegen Köhler (Matthias Mattschke) die Zähne ausbiss; außerdem durfte sie zarte Bande zum Polizeipsychologen Niklas Wilke (Steven Scharf) knüpfen, was ebenfalls zur Normalität der Figur beitrug. In "Mörderische Dorfgemeinschaft" traut sich Brasch zwar nicht, Wilkes Tochter kennenzulernen, aber ansonsten darf sie sich benehmen wie eine ganz gewöhnliche TV-Kommissarin, und das tut der Rolle richtig gut.

Das Drehbuch stammt von Katrin Bühlig, die für die "Bella Block"-Episode "Weiße Nächte" 2008 mit dem Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet worden ist. Zuletzt hat sie für den "Tatort" aus Bremen mit "Im toten Winkel" (2018) eine unangenehm realitätsnahe und entsprechend bedrückende Geschichte über alte Menschen erzählt, die sich das Leben nicht länger leisten können. Der elfte "Polizeiruf" aus Madgeburg ist zwar von ganz anderem Kaliber, lebt aber ebenfalls in erster Linie von der Zeichnung der Figuren. Regie führte Philipp Leinemann, dem 2014 mit dem Thriller "Wir waren Könige" nicht nur ein bemerkenswertes Regiedebüt, sondern auch einer der besten deutschen Polizeifilme der letzten 25 Jahre gelungen ist. Es folgte der im Auftrag der Degeto entstandene Spitzelfilm "Die Informantin" (2016), gleichfalls ein Thriller auf hohem Niveau.

Seinen ersten Sonntagskrimi hat der Regisseur für den NDR inszeniert. In dem "Polizeiruf" aus Rostock, "Im Schatten" (2016), ging es zwar natürlich auch um eine Mördersuche, aber im Vordergrund stand das mitunter eher unsoziale Miteinander der Ermittler. Dank Braschs Metamorphose steht in "Mörderische Dorfgemeinschaft" dagegen die geschlossene Gesellschaft des Titel-Ensembles im Mittelpunkt. Die Darsteller sind zwar wenig bekannt, aber dafür markant, darunter Hans Uwe Bauer als Vater von Annette (Katharina Heyer), Jurijs hochschwangerer Verlobten, Christian Beermann als Jurijs einzigem Freund und Tom Keune als gehörnter Ehemann. Angesichts der vielen Rückblenden und der Beschreibung des Freigeistes als charismatischer Menschenfänger und Frauenheld ist die Besetzung der Rolle mit Tambet Tuisk allerdings etwas schwach ausgefallen.

Packend im Sinne herkömmlicher Krimispannung ist der ruhig erzählte Film ohnehin nicht; das galt auch schon für "Im Schatten". Trotzdem ist der "Polizeiruf" sehenswert, zumal Leinemann, der fürs Fernsehen zuletzt die Komödie "Willkommen bei den Honeckers" (2017) gedreht hat, den Bildern gemeinsam mit Kameramann Jonas Schmager eine reizvolle Optik gegeben hat: Der Hochsommerfilm zeichnet sich durch ein gleißendes Licht aus, das es in dieser Form zumindest in unseren Breiten gar nicht gibt. Schon die ersten Einstellungen mit Aufnahmen von Getreidefeldern bis zum Horizont sorgen auch dank der dumpfen, unheilverkündenden Untermalung für eine ganz spezielle Atmosphäre: Ein Jäger will einen zum Abschuss freigegebenen Wolf erlegen; Gastschauspieler Ronald Zehrfeld war Leinemanns Hauptdarsteller in "Wir waren Könige" sowie in dem Kinothriller "Das Ende der Wahrheit" (2019). Mit dem Rest des Films hat der Prolog zwar nichts zu tun, aber natürlich ist die Wolfsallegorie ein Schlüssel zur Geschichte. Auch im weiteren Verlauf sorgt Schmager immer wieder für bemerkenswerte Einstellungen. Als Annettes Vater, bezeichnenderweise Wolf mit Nachnamen, ungebetene Besucher mit der Schrotflinte begrüßt, ragt der Gewehrlauf derart bedrohlich ins Bild, dass Kinobesucher bei einem 3D-Film unwillkürlich zurückzucken würden.