TV-Tipp: "Tatort: Alles was Sie sagen" (ARD)

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TV-Tipp: "Tatort: Alles was Sie sagen" (ARD)
22.4., ARD, 20.15 Uhr
Im Lauf der letzten hundert Jahre haben sich einige Filmregeln ergeben, an die sich Autoren und Regisseure normalerweise halten. Eines dieser ungeschriebenen Gesetze besagt: Rückblenden dürfen nicht lügen. In "Alles was Sie sagen", dem vierten gemeinsamen Fall des Duos Falke und Grosz (Wotan Wilke Möhring, Franziska Weisz) von der Bundespolizei wird zwar kräftig gegen dieses Gebot verstoßen, aber das hat seinen Grund.

Die Rückblenden sind die illustrierten Erinnerungen der beiden Ermittler; und Polizisten wissen aus leidvoller Erfahrung von Zeugenbefragungen, dass verschiedene Menschen ganz unterschiedliche Sichtweisen auf ein Ereignis haben.

Das für "Weinberg" und "Club der roten Bänder" mit dem Grimme-Preis ausgezeichnete Drehbuchduo Arne Nolting und Jan Martin Scharf bettet die Geschichte in eine nicht unübliche Rahmenhandlung: Falke und Grosz rekonstruieren in wechselnden Vernehmungen durch den Leiter der Dienststelle Lüneburg, Rehberg (Jörn Knebel), die Geschehnisse der letzten Tage. Der Film beginnt mit der Durchsuchung eines verlassenen Fabrikgeländes. Das Duo trennt sich und stößt schließlich unabhängig voneinander auf die Leiche einer Frau. Dann folgt die Vernehmung und die erste Rückblende: Die Bundespolizisten sollen in Lüneburg einen mutmaßlichen syrischen Kriegsverbrecher suchen, der unter falschem Namen als Flüchtling anerkannt worden ist. Alle, die den Mann kennen, beteuern, er sei hilfsbereit und integrationswillig, aber die Ermittler stoßen schließlich auf ein libanesisches Drogenkartell, für das der Syrer andere Flüchtlinge als Dealer angeworben hat. Die Lüneburger Polizei ist dem Clanchef schon seit Jahren auf der Spur, konnte ihm aber nie was nachweisen, weil er offenbar immer rechtzeitig gewarnt worden ist. Falke hat auch eine Ahnung, von wem; er kann den einheimischen Kollegen Spieß (Marc Rissmann), der während der gemeinsamen Ausbildung mal was mit Grosz hatte, ohnehin nicht leiden. Mit dem Auftauchen des Lüneburgers beginnen die Schilderungen der beiden Bundespolizisten voneinander abzuweichen, was sehr komisch sein könnte, wenn es nicht um Leben und Tod ginge: In den Erinnerungen von Falke knistert es derart kräftig zwischen Spieß und Grosz, dass die beiden ihre Arbeit vernachlässigen; die Erinnerungen von Grosz sehen dagegen ganz anders aus.

Es hat Özgür Yildirim garantiert viel Freude bereitet, diese Geschichte zu inszenieren, zumal die Rückblendenkonstruktion immer wieder für Überraschungen sorgt. Außerdem ist natürlich völlig offen, welche der beiden Schilderungen der Wirklichkeit entspricht, ganz abgesehen von der Möglichkeit, dass es noch eine dritte Wahrheit geben könnte. Aber es ist nicht allein dieses Doppelspiel, das "Alles was Sie sagen" zu einem besonderen "Tatort" macht; der Film ist zudem von vorn bis hinten durchgehend fesselnd, zumal die zunehmende Gereiztheit des offenbar eifersüchtigen Falke für viel Konfliktpotenzial zwischen ihm und Grosz sorgt. Die Vernehmung des Bundespolizisten durch den Dienststellenleiter, der davon ausgeht, dass Falke die Frau erschossen hat, und die beiden Bundespolizisten gegeneinander ausspielen will, ist ein reizvolles Katz-und-Maus-Spiel, bei dem die Rollen ständig wechseln; zumal beide wissen, dass der jeweils andere alle Tricks kennt.

Darüber hinaus hat Yildirim den Krimi in vielen Szenen als Hochspannungskrimi inszeniert. In diesen Passagen sorgt vor allem die Musik von Timo Pierre Rositzki für enorme Spannung. Ähnlich bemerkenswert ist die Bildgestaltung durch Matthias Bolliger, der ein durchgängig faszinierendes Licht gesetzt hat. Mit Rositzki hat Yildirim bereits bei seinem Kinothriller "Boy 7" (2015) zusammengearbeitet, Bolliger ist sein bevorzugter Kameramann; gemeinsam haben die beiden neben Yildirims formidablem Debüt Chico" (2008) nicht nur seinen ersten "Tatort" mit Wotan Wilke Möhring, "Feuerteufel" (2013), sondern auch den ersten Fall von Falke und Grosz ("Zorn Gottes", 2016) gemeinsam gedreht. Die Hauptdarsteller werden ebenfalls großen Spaß an den Rückblenden gehabt haben, weil sie auf diese Weise auch mal andere Seiten ihrer Figuren zeigen können; Franziska Weisz muss ihre Polizistin ja stets kühl und beherrscht anlegen, um für ein Gegengewicht zum impulsiven Falke zu sorgen, darf hier aber ganz mädchenhaft flirten. Man könnte einwenden, dass Yildirim es mit den Spiegel-Bildern übertreibt, aber einige der entsprechenden Einstellungen sind recht kunstvoll konzipiert. Außerdem sind sie ein Hinweis auf die Doppelbödigkeit der ganzen Geschichte, und zumindest eins der Arrangements ist für den weiteren Verlauf der Handlung von eminenter Bedeutung.