TV-Tipp: "Das Menschenmögliche"

Ein altmodischer Fernseher
Foto: Getty Images/iStockphoto/vicnt
TV-Tipp: "Das Menschenmögliche"
10.7., ZDF, 23.30 Uhr
Das ZDF wird seine Gründe haben, warum es die Reihe "Shooting Stars – Junges Kino im Zweiten" erst um Mitternacht zeigt. Dabei wäre das Drama "Das Menschenmögliche" ein probater "Fernsehfilm der Woche"; der Film hatte ohnehin gar keine Kinoauswertung.

Eva Wolf (Buch und Regie) erzählt in ihrem Spielfilmdebüt von der Assistenzärztin Judith (Alissa Jung), die in der Notaufnahme eines Stuttgarter Krankenhauses arbeitet und völlig übermüdet einen fatalen Fehler begeht: Die falsche Etikettierung einer Blutprobe hat zur Folge, dass eine Patientin an Blutvergiftung stirbt. Weil der Witwer die Klinik verklagen will, wird die junge Ärztin "aus der Schusslinie" genommen und zum Dienst als Notärztin versetzt. Für ihre Vorgesetzten ist der Fall damit zunächst erledigt, aber Judith geht das Ereignis nicht mehr aus dem Kopf. Schockiert muss sie zudem feststellen, dass eine Schwester, deren Renitenz die Sache überhaupt erst ins Rollen gebracht hat, jede Mitschuld von sich weist; nun droht der Ärztin das jähe Ende einer hoffnungsvollen Karriere.

Niemand kommt gern ins Krankenhaus, aber manchmal lässt es sich eben nicht vermeiden; die Geschichte dieses Films geht also jeden an. "Das Menschenmögliche" ist in Zusammenarbeit mit dem Kleinen Fernsehspiel entstanden. Die Produktionen dieser Redaktion werden stets zu nachtschlafender Zeit ausgestrahlt, weil sie oft inhaltlich oder stilistisch nicht mehrheitsfähig sind. Für Eva Wolfs Arbeit gilt das jedoch gerade nicht, im Gegenteil; ihre unauffällige Inszenierung sieht derart nach Fernsehen aus, dass der Film im Kino ohnehin keine Chance gehabt hätte. Allerdings hat er auch deutliche Schwächen, denn Wolf will zu viel. Dass Judiths traumatische Erfahrung Folgen für ihr Privatleben hat, ist nachzuvollziehen. Wenig Erkenntnisgewinn bringt dagegen das komplizierte Verhältnis der Hauptfigur zu ihrer Mutter Hedi (Astrid M. Fünderich), zumal diese Rolle allzu klischeehaft ausfällt. Immerhin zeigt eine Zeichnung in Hedis Wohnung, dass Judith schon als Kind Ärztin werden wollte.

Komplett überflüssig sind dagegen die Begegnungen mit der besten Freundin (Viola Pobitschka), deren Beziehungsprobleme im Vergleich zu Judiths existenziellen Erlebnissen ziemlich banal wirken. Prompt platzt Judith irgendwann der Kragen, sodass sie sich nun von allen guten Geistern verlassen fühlt. Ähnlich überzeichnet wie die hippiehafte Hedi sind auch viele weitere Figuren. Der ärztliche Klinikleiter (Marcus Calvin) zum Beispiel ist ein blasierter Halbgott in Weiß, der darüber schwadroniert, dass Frauen wegen ihrer Gefühligkeit für den Beruf nicht geeignet seien. Gerade die Dialoge der Arztgespräche sind zudem nicht gut geschrieben; manche dienen vor allem der Information des Publikums, andere klingen wie deklamierte Lehrsätze, und einige sind schlicht phrasenhaft ("Ärzte sind auch nur Menschen").

Ein weiteres Manko ist die thematische Überfrachtung, denn Judith wird als Notärztin ständig mit Ausnahmesituationen konfrontiert: Mal geht es um häusliche Gewalt, mal gerät eine alte Frau in Lebensgefahr, weil die Menschen im Seniorenheim mit Psychopharmaka ruhig gestellt werden, mal richtet jemand seine Aggression ausgerechnet gegen Jene, die ihm helfen wollen. Natürlich gehören auch solche Vorfälle zu den Erfahrungen von Notärzten und Rettungssanitätern, und es ist aller Ehren wert, dass die Regisseurin diese Missstände anprangert; aber ihr Film legt die Vermutung nahe, der Alltag bestünde nur aus solchen Extremen. Andererseits fehlt diesen Szenen ein gewisser Biss; Kameraführung und Schnittfrequenz könnten ruhig packender sein. Womöglich wollte sich Wolf, die zuvor unter anderem die Dokumentarfilme "12 Monate Deutschland" (über vier Austauschschüler von drei Kontinenten) und "Intensivstation" (vier Monate in der Charité) gedreht hat, bei ihrer ersten szenischen Regiearbeit nicht dem Vorwurf aussetzen, die Einsätze allzu plakativ inszeniert zu haben. Immerhin sind die kühlen Bilder in der Klinik wie auch in der Wohnung ein passender Rahmen für Judiths Gefühlsleben (Kamera: Daniel Schönauer).

Sehenswert ist "Das Menschenmögliche" allerdings wegen Alissa Jung, die die seelischen Nöte der Hauptfigur sehr nachvollziehbar verkörpert. Die einst durch die Sat.1-Telenovela "Schmetterlinge im Bauch" (2006/2007) bekannt gewordene Schauspielerin ist wegen ihrer sympathischen Grübchen geradezu prädestiniert für Romanzen wie die Rollentauschkomödie "Im Brautkleid meiner Schwester" (Sat.1, 2012), aber sie überzeugt auch in dieser dramatischen Rolle. Dass sie promovierte Ärztin ist, verleiht dem Dilemma eine besondere Authentizität: Natürlich bangt Judith um ihren Traumberuf, aber dass ihre Vorgesetzten den Todesfall vertuschen und keinerlei Anstalten machen, die Missstände zu beheben, will sie auch nicht akzeptieren.

Berichte über die Überforderung von Ärzten, deren Erschöpfung nach 24 Stunden Dauerdienst fast zwangsläufig zu Fehlern führt, kann es gar nicht genug geben. Ein Spielfilm erreicht außerdem erfahrungsgemäß weitaus mehr Menschen als eine Reportage; aber natürlich nicht um Mitternacht. Schon seltsam, dass das ZDF im Sommer lieber Wiederholungen zeigt, anstatt TV-Premieren wie "Das Menschenmögliche" um 20.15 Uhr auszustrahlen.