TV-Tipp: "Tatort: Sturm" (WDR)

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TV-Tipp: "Tatort: Sturm" (WDR)
9.12., WDR, 20.15 Uhr
"Sturm" ist jene "Tatort"-Episode, die die ARD an Neujahr ausstrahlen wollte, wegen des Anschlags auf den Berliner Weihnachtsmarkt aber aus dem Programm genommen hat. Man kann sicher darüber streiten, ob es besonders taktvoll vom WDR ist, den Film kurz vor dem Jahrestag des Ereignisses zu wiederholen. Davon abgesehen handelt es sich um ausgesprochen sehenswerten Film, der vermeintlich harmlos beginnt.

Eine Polizeistreife fährt nachts durch die menschenleere Dortmunder Fußgängerzone. Wie aus dem Nichts werden die beiden Beamten erschossen. Als Hauptkommissar Faber (Jörg Hartmann) zum Tatort kommt, entdeckt er durch Zufall, dass in einem Bankhaus in der Nähe gearbeitet wird. Sachbearbeiter Hövermann (Felix Vörtler) hat noch was zu erledigen: Er verteilt 50 Millionen Euro auf Konten im Nahen Osten. Seine Brust ziert ein Sprengstoffgürtel. Als sich dann noch rausstellt, dass sein Vorname Muhamad lautet und er vor einiger Zeit seiner syrischen Gattin zuliebe den islamischen Glauben angenommen hat, scheint der Fall klar: Ein radikalisierter Konvertit will den "Islamischen Staat" mit Geld versorgen. Tatsächlich jedoch liegen die Dinge völlig anders, und dies in derart vielerlei Hinsicht, dass dieser Film am Schluss gleich mehrfach verblüfft.

Das Drehbuch stammt vom Duo Martin Eigler und Sönke Lars Neuwöhner, das schon seit vielen Jahren immer wieder zusammenarbeitet; ihr letztes gemeinsames Werk war die ZDF-Serie "Morgen hör ich auf". Im Grunde lässt sich die Handlung von "Sturm" auf zwei Eckdaten reduzieren: Islamismus und Geiselnahme. Fesselnd wird die fast in realer Zeit erzählte Geschichte, weil der grundsätzlich unkonventionell agierende Faber dem Bankangestellten fortan nicht mehr von der Seite weicht und auf diese Weise sein Schicksal mit dem von Hövermann verknüpft. Die Tatsache, dass der nervöse Mann jederzeit den Auslöser seines Sprengsatzes betätigen kann, sorgt für enorme Spannung. Später, als sich rausstellt, dass Hövermanns Gürtel auch aus der Ferne gezündet werden kann, treibt Regisseur Richard Huber den Nervenkitzel in die Höhe, indem er dafür sorgt, dass das Piepsen des Zünders immer lauter wird; selbst dem hartgesottenen Faber vergeht nun die Lust auf seinen Sarkasmus.

Dank der anderen Teammitglieder sorgt das Drehbuch zudem für weitere Ebenen: Während Kollegin Bönisch (Anna Schudt) vor der Bank die Stellung hält, suchen Kossik und Dalay (Stefan Konarske, Aylin Tezel) Hövermanns Familie auf. Kossik spürt, dass Frau und Tochter bedroht werden. Als das Mädchen von seinem Ex-Freund entführt wird, bleibt Kossik dran. Dieser Handlungsstrang ist besonders spannend, denn es stand schon vorher fest, dass "Sturm" Konarskes letzter "Tatort" aus Dortmund "Tatort" ist. An die Stelle der gewohnten Reibereien zwischen den diesmal getrennt agierenden Ermittlern treten nun die nicht minder herzhaften Grobheiten zwischen Faber und dem schlecht gelaunten Leiter des Sondereinsatzkommandos. Ercan Karacayli verkörpert den Mann derart markant, dass er unbedingt weiterhin mitwirken sollte, zumal Faber nach Kossiks Abschied dringend einen neuen Gegenspieler braucht. Die sehenswerteste Leistung liefert trotzdem Felix Vörtler, der die Verzweiflung des Bankangestellten mit größter Glaubwürdigkeit verkörpert.

Obwohl die Handlung trotz der verschiedenen Handlungsstränge überschaubar ist, gelingt es Grimme-Preisträger Huber ("Dr. Psycho"), der zuletzt die vielfach ausgezeichnete Vox-Serie "Club der roten Bänder" gedreht hat, die Spannung auf konstant hohem Niveau zu halten; und das ganz ohne die in solchen Filmen gern zu Hilfe genommenen Elemente wie rasche Schnittfrequenz, agile Kameraführung oder packende Action-Musik. Auch dies spricht dafür, dass das Drehbuch weitaus substanzieller ist, als die scheinbar überschaubare Geschichte vermuten lässt. Der Schluss mit seinem krachenden Knalleffekt, als sich die Szenerie in einen Kriegsschauplatz verwandelt, sorgt auf schockierende Weise dafür, dass keiner der Beteiligten diesen Tag unbeschadet übersteht.