Bundesverwaltungsgericht begründet umstrittenes Sterbehilfe-Urteil

Vorbereitete schmerzstillende Medikamente auf einer Palliativstation in einem deutschen Krankenhaus
Foto: epd/Werner Krüper
Vorbereitete schmerzstillende Medikamente auf einer Palliativstation in einem deutschen Krankenhaus
Bundesverwaltungsgericht begründet umstrittenes Sterbehilfe-Urteil
Darf eine Behörde Sterbewilligen todbringende Medikamente verschaffen? In Extremfällen ja, urteilte das Bundesverwaltungsgericht und sorgte damit für eine neue Sterbehilfe-Debatte. Jetzt hat das Gericht seine ausführliche Begründung veröffentlicht.

Zweieinhalb Monate nach dem aufsehenerregenden Sterbehilfe-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts haben die Leipziger Richter ihre ausführliche Begründung vorgelegt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht im Grundgesetz umfasse auch das Recht eines schwer und unheilbar kranken Menschen, zu entscheiden, "wie und zu welchem Zeitpunkt sein Leben enden soll", sofern er frei darüber entscheiden kann, heißt es in dem am Mittwoch veröffentlichten 27-seitigen Papier (Urteil vom 2. März 2017, BVerwG 3 C 19.15). Im konkreten Fall ging es um eine vom Hals abwärts gelähmte Frau, die beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte eine tödliche Dosis Betäubungsmittel beantragt hatte.

Die Behörde lehnte den Antrag ab. Das Bundesverwaltungsgericht entschied, das Bundesinstitut hätte das Anliegen zumindest prüfen müssen. In der Urteilsbegründung heißt es, die Schutzpflicht des Staates für das Leben habe unter bestimmten Bedingungen hinter dem grundrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrecht zurückzutreten. Das Urteil war bei Sozialverbänden und Kirchen auf Kritik gestoßen, weil in dessen Folge das Bundesinstitut darüber entscheiden müsste, ob es Medikamente für einen Suizid zur Verfügung stellt oder nicht.

Stiftung Patientenschutz kritisiert Entscheidung als "praktisch und ethisch unverantwortbar"

Dem Urteil zufolge verlangt eine entsprechende Genehmigung in Ausnahmefällen eine "extreme Notlage", in der eine Linderung des Leids oder von Schmerzen auf andere Weise nicht erreicht werden kann und eine andere "zumutbare Möglichkeit zur Verwirklichung des Sterbewunsches nicht besteht". Das Bundesinstitut sei verpflichtet, festzustellen, ob eine solche Ausnahmesituation vorliegt. Der Senat verkenne nicht, dass der Behörde dabei "schwierige Bewertungen abverlangt werden", heißt es in der Urteilsbegründung.

Die obersten deutschen Verwaltungsrichter sehen in ihrer Entscheidung der Begründung zufolge auch keinen Widerspruch zu dem im November 2015 verabschiedeten Gesetz, nach dem organisierte - sogenannte geschäftsmäßige - Hilfe bei Suizid etwa durch das Überlassen todbringender Medikamente, die der Sterbewillige dann selbst einnimmt, verboten ist. Der neue Strafrechtsparagraf biete keinen Anhalt dafür, dass der Gesetzgeber eine Erlaubnis zum Erwerb von Betäubungsmitteln zur Selbsttötung ausnahmslos verbieten wollte, argumentiert das Bundesverwaltungsgericht.

Das Gesetz zielte auf Sterbehilfeorganisationen, die teilweise gegen Geld beim Suizid helfen. Das Bundesinstitut verfolge aber keine Einzelinteressen, erklärte das Leipziger Gericht. Kritiker des Sterbehilfe-Urteils hatten argumentiert, die Entscheidung konterkariere den mit dem Gesetz von 2015 zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz bleibt auch nach der Begründung bei ihrer Kritik am Urteil. Vorstand Eugen Brysch bemängelte, es bleibe bei unbestimmten Rechtsbegriffen in der Frage, wann das Bundesinstitut die Genehmigung für den Erwerb der Medikamente erteilen kann. Auf dieser Grundlage müsse das Bundesinstitut über Leben und Tod entscheiden. "Das ist praktisch und ethisch unverantwortbar", sagte Brysch. Er forderte Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) auf, dies durch einen Nichtanwendungserlass zu verhindern.

Gröhe hatte sich über das Urteil vom 2. März kritisch geäußert. Ein Sprecher des Ministeriums sagte, auch dort sei die Urteilsbegründung erst am Mittwoch eingegangen. Zusammen mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte werde sie jetzt sorgfältig geprüft und das weitere Vorgehen beraten. Will das Institut dagegen vorgehen, ist nur noch eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht möglich.