Nach Referendum: Kritik an hoher Zustimmung von Deutsch-Türken

Foto: dpa/Ina Fassbender
Nach Referendum: Kritik an hoher Zustimmung von Deutsch-Türken
Ergebnis löst Debatte um Integrationsversäumnisse aus
Die große Zustimmung zur Verfassungsänderung unter Deutsch-Türken hat eine Debatte um Integrationsversäumnisse ausgelöst.

Nach Auffassung der Türkischen Gemeinde in Deutschland ist das Ergebnis auf ein Gefühl der Ausgrenzung zurückzuführen. Grünen-Chef Cem Özdemir forderte unter anderem mehr Anstrengungen in der Bildungspolitik, damit Zuwandererkinder erfolgreicher werden.

Bei dem Referendum über die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei hatten am Sonntag laut vorläufigem Ergebnis 51,4 Prozent der Wähler mit Ja gestimmt. Unter den türkischen Wählern in Deutschland votierten rund 63 Prozent für die Vorlage, mit der Präsident Recep Tayyip Erdogan seine Macht ausbauen will.

"Sie wollten dadurch Protest zum Ausdruck bringen gegen das, was sie seit Jahrzehnten aus ihrer Sicht hier empfinden", sagte der Bundesvorsitzende der Türkischen Gemeinde, Gökay Sofuoglu, im SWR. "Dass sie sich diskriminiert fühlen, dass sie sich ausgegrenzt fühlen, hat, denke ich, zu der ganzen Diskussion vor dem Referendum und den Spannungen zwischen Europa und der Türkei geführt."

Grünen-Chef Özdemir:  Abnabelung der "Erdogan-Moscheen" nötig

Grünen-Chef Özdemir erklärte, wer wolle, dass die Zahl der Erdogan-Anhänger zurückgehe, der solle sich Gedanken um die Bildungspolitik machen, "damit Kinder, die in Deutschland auf die Schule gehen, erfolgreicher werden". Nötig sei zudem eine Abnabelung der "Erdogan-Moscheen" von der Türkei, ergänzte er mit Blick auf die Gemeinden des Islamverbandes Ditib, der eng mit der türkischen Religionsbehörde verbunden ist. "Auch da gibt es große Versäumnisse in der Vergangenheit." Man müsse sich überlegen, wie ein Islam entstehe, der auf dem Boden der deutschen Verfassung stehe und unabhängig von Präsident Erdogan sei.

Auch der Essener Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) kritisierte das Wahlverhalten der Deutsch-Türken scharf. "Da muss man Kopfschütteln und Unverständnis zeigen", sagte Kufen im WDR angesichts der vielen Erdogan-Unterstützer, die im Essener Generalkonsulat ihre Stimme abgegeben hatten. Da sei von der "heimischen Couch im sicheren Deutschland über die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie" entschieden worden, ohne selbst die Konsequenzen tragen zu müssen. Das Generalkonsulat Essen war mit rund 76 Prozent das Generalkonsulat mit der höchsten Zustimmungsquote in Deutschland.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), warnte vor pauschalen Antworten. "Man muss genauer hinschauen", sagte Özoguz dem Sender n-tv. Mit Sicherheit gebe es einige, die wirklich hinter diesem Präsidialsystem stünden. "Aber es gibt auch eine ganze Reihe von Leuten, die meinen, egal was Erdogan tut, er wird uns schon irgendwie helfen", sagte die SPD-Politikerin. Integrationsmaßnahmen habe es über Jahrzehnte nicht gegeben, ein Einwanderungsland habe sich Deutschland nicht genannt.

Die Union bekräftigte ihre Forderung nach einer strengeren Regelung beim Doppelpass. "Ich halte es für wichtig, dass wir in der nächsten Legislaturperiode die Erleichterungen bei der doppelten Staatsbürgerschaft wieder rückgängig machen", sagte der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Stephan Mayer (CSU), der "Welt" (Dienstag). Mayer forderte, dass zumindest den Kindern eines Doppelstaatlers die Staatsbürgerschaft auch wieder entzogen werden kann, "wenn diese nicht in Deutschland leben und offenkundig auch keinen Bezug mehr zu Deutschland haben".

Diese Forderung und die Debatte um die Integration türkischer Bürger bezeichnete die Linke als "Ablenkungsmanöver von den eigenen Fehlern". "Die hohe Zustimmung für ein Ja beim Referendum in der Türkei unter den türkischen Wählern in Deutschland ist in erster Linie die Folge davon, dass man Erdogans Netzwerk in Deutschland jahrelang hat gewähren lassen", teilte die Integrationsbeauftragte der Links-Fraktion im Bundestag, Sevim Dagdelen, mit. Das Ergebnis sei die Quittung für die jahrelange falsche Türkeipolitik. Dagdelen forderte unter anderem das Ende von Waffenlieferungen an die Türkei.