Kritischer Spötter und antisemitischer Hetzer

Der Schriftsteller Ludwig Thoma
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Der Schriftsteller Ludwig Thoma (1867-1921) 1913 in seinem Haus in Rottach am Tegernsee.
Kritischer Spötter und antisemitischer Hetzer
Vom liberalen Satiriker zum wüsten Pamphlete-Schreiber: Ludwig Thoma war mehr als ein bayerischer Heimatdichter. Die Doppelmoral der Obrigkeiten spießte er stilsicher auf. Aber später begann er, gegen Juden und Sozialdemokraten zu hetzen.
21.01.2017
epd
Gabriele Ingenthron

Kaum ein bayerischer Schriftsteller ist so populär wie Ludwig Thoma (1867-1921). Seine "Lausbubengeschichten", der "Briefwechsel des Josef Filser", die "Heilige Nacht" und sein vielgelesener Roman "Andreas Vöst" machten ihn schon zu Lebzeiten berühmt. Doch der Erste Weltkrieg brachte die Brüche im Leben des Ludwig Thoma zum Vorschein: Er wandelte sich vom obrigkeitskritischen Spötter zum antidemokratischen Nationalisten, der Hetzschriften gegen Juden verfasste.

"Es waren vor allem seine Sehnsucht nach Autorität und nationaler Größe, seine Feindseligkeiten gegenüber Frauen, Sozialdemokraten und Juden, die zu einer differenzierten Beurteilung des Autors Anlass geben", sagt die Heidelberger Literaturprofessorin und Thoma-Biografin Gertrud Rösch. Vor 150 Jahren, am 21. Januar 1867, wurde Thoma in Oberammergau als Sohn eines Försters geboren.

Mit Empathie für die kleinen Leute

Als er 1921 starb, war er erst 54 Jahre alt. Trotzdem hat er ein umfangreiches Werk hinterlassen, an dessen literarischem Wert kaum jemand zweifelt. Thoma galt und gilt als begnadeter und stilsicherer Satiriker. Er war Chefredakteur der Satirezeitschrift "Simplicissimus", spießte die Peinlichkeiten der Reichs- und Landespolitik auf. Dabei blieb er jedoch ein konservativer Satiriker, der mit der von ihm angegriffenen wilhelminischen Gesellschaft enger verbunden war, als er sich selbst eingestanden hatte. 

Als Romanschreiber und Dramatiker bewahrte er die Erinnerung an die ländliche Welt Bayerns. Während Thomas Stücke auf den Bühnen in München, Wien und Berlin aufgeführt wurden, kaufte er in Tegernsee eine stattliche Landvilla, für die er mehrere Dienstboten anstellte. 

Seine Lausbubengeschichten (1904) wirken bis heute vor allem wegen ihrer Sprache. Die zwölf Episoden zeigen die Doppelmoral der Erwachsenenwelt aus der Perspektive eines Heranwachsenden. Dem Leser verschaffen sie die Genugtuung, dass sich der sozial deklassierte Bub gegen eine anmaßende Obrigkeit behauptete. Mit Empathie schreibt Thoma für die kleinen Leute. 1904 greift er in einem Spottgedicht unter dem Pseudonym Peter Schlemihl die Kirche an und muss wegen "Vergehen wider die Religion" 1906 für sechs Wochen ins Gefängnis.

Als Thoma im August 1915 wegen einer Ruhr-Erkrankung von der Ostfront im Ersten Weltkrieg zurückkehrte, begann er an der "Heiligen Nacht" zu schreiben. Er erzählte das Weihnachtsgeschehen nach dem Lukas-Evangelium, das er in den bäuerlich-dörflichen Alltag übertrug. Darin betonte er, wie Jesus sich entschlossen auf die Seite der Armen schlägt. Seine Kritik an der Kirche seiner Zeit bildete die Grundlage dieser Dichtung.

1917 dann trat er der frisch gegründeten "Deutschen Vaterlandspartei" bei - ein Sammelbecken von rechtsgerichteten Gruppierungen, das gegen demokratische Reformen agitierte, gegründet unter Beteiligung führender Militärs. Nach 1918 nahmen Thomas Feindseligkeit einen hetzerischen Ton an. Er selbst bezeichnete seine literarische Rolle als "Bierbankpolitiker mit Tinte".

Hetze gegen Künstler, Sozialdemokraten und Juden

Wurde aus einem Spötter ein "Spießer"? So fragte Kurt Tucholsky 1920 in einer Rezension für die "Weltbühne". Doch Tucholsky blieb zunächst allein mit seinem Urteil über den Schriftsteller. Ende der 1980er-Jahren wurde dann Thomas Autorschaft in der Zeitung "Miesbacher Anzeiger" aufgedeckt, damals ein Forum der radikalen Rechten. Hier veröffentlichte er in den letzten zwei Jahren vor seinem Tod am 26. August 1921 hemmungslos wüste Pamphlete gegen Künstler, Sozialdemokraten und Juden.

Sie wandelten das Thoma-Bild in der Öffentlichkeit: Die Stadt München beendete daraufhin die Vergabe der "Ludwig-Thoma-Medaille für Courage in der Öffentlichkeit". Zum 150. Geburtstag flammt die kritische Bewertung Thomas erneut auf. Der Autor Martin A. Klaus hat eine aktuelle Biografie vorgelegt, nach der Thoma mit seiner Hetze mehrere Mordanschläge, unter anderem an dem Politiker Matthias Erzberger, förmlich herbeigeschrieben haben soll.

Die Literaturwissenschaftlerin Rösch sieht darin allerdings eine "tendenziöse und haarsträubende Schlussfolgerung, ohne wissenschaftliche Belege". Thomas umfangreiches Gesamtwerk könne nicht durch zwei Jahre politische Hetze entwertet werden. "Es wäre aber auch unaufrichtig, nur sein literarisches Werk und nicht auch seine politische Haltung in den Jahren 1920 und 1921 zu sehen", sagt Rösch.