TV-Tipp: "Tatort: Wendehammer" (ARD)

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TV-Tipp: "Tatort: Wendehammer" (ARD)
18.12., ARD, 20.15 Uhr: "Tatort: Wendehammer"
Diesmal geht es um einen Fall, der wie ein ganz normaler Nachbarschaftsstreit beginnt; aber am Ende steht in gewisser Weise das Schicksal der ganzen Welt auf dem Spiel.

Einfach nur Krimi: Das ist der Fernsehfilmabteilung des Hessischen Rundfunks nicht genug. Deshalb fallen nicht nur die Filme mit Ulrich Tukur, sondern auch die Geschichten mit dem Frankfurter Duo Janneke und Brix (Margarita Broich, Wolfram Koch) gern aus dem Rahmen des üblichen Sonntagskrimis. Diesmal geht es um einen Fall, der wie ein ganz normaler Nachbarschaftsstreit beginnt; aber am Ende steht in gewisser Weise das Schicksal der ganzen Welt auf dem Spiel. Hauptfigur der Geschichte ist ein junger Mann, der ein bisschen an Dustin Hoffman als "Rain Man" erinnert: ein brillanter Kopf, aber völlig unfähig, normale Beziehungen zu seinen Mitmenschen aufzubauen. Jan Krauter, der vor einigen Jahren für den Film "Grzimek" (als Sohn der Titelfigur) entdeckt worden ist und kürzlich an der Seite von Anna Maria Mühe in "Solo für Weiss" mitwirkte, beweist als autistisches Computergenie seine große Wandlungsfähigkeit. Der Mann ist bei seinen Nachbarn verhasst, weil er sich komplett abschottet und sein Haus in einen Hochsicherheitstrakt verwandelt hat. Das Grundstück befindet sich am Ende einer Sackgasse, daher der schlichte Titel "Wendehammer": Die Häuser sind in einem Halbkreis angeordnet, aber der Menschenfeind Nils Engels lebt in seiner eigenen Wagenburg; der mehrere Meter hohe Zaun steht unter Strom. Janneke und Brix werden auf den Mann aufmerksam, als eine Krimischriftstellerin (Cornelia Froboess) ihren Rommé-Partner als vermisst meldet: Herr Abendrot hatte wegen einer großen Tanne regelmäßig Ärger mit Engels. Die alte Dame ist überzeugt, dass Engels das Problem mit dem lästigen Nachbarn ähnlich beseitigt hat wie die verschiedenen Katzen und Hunde, die verschwunden sind, seit er in die Siedlung gezogen ist. Tatsächlich finden Janneke und Brix die Tierkadaver in seiner Gefriertruhe, bloß von Herrn Abendrot fehlt jede Spur; bis er irgendwann unversehens und unversehrt wieder auftaucht. Dafür stirbt ein Junge aus der Nachbarschaft beinahe am Elektrozaun, als sein Fußball auf Engels’ Grundstück fliegt; und der wiederum wird kurz drauf tot in seinem Garten gefunden.

Bis zu diesem Punkt erzählt "Wendehammer" eine im Grunde nicht ungewöhnliche Krimigeschichte über beste Feinde in der Nachbarschaft, auch wenn die Figuren etwas aus dem Rahmen fallen. Aber das Drehbuch sorgt für eine zweite Ebene, die in eine ähnliche Richtung zielt wie die in den letzten Monaten gezeigten "Tatort"-Episoden "HAL" (Stuttgart) und "Echolot" (Bremen), denn Engels hat eine Technik entworfen, die das digitale Dasein der Menschheit revolutionieren könnte. Dass es sich dabei um eine spezielle Form emotionaler Erlebnisse handelt, ist angesichts der mutmaßlichen Gefühllosigkeit des Erfinders eine der vielen kleinen Doppelbödigkeiten, mit denen das Autorenduo Stephan Brüggenthies und Andrea Heller immer wieder aufwartet. Weil es darüber hinaus regelmäßig verblüffend heitere Momente gibt, ist das Drehbuch bei Markus Imboden in den besten Händen: Der Schweizer Regisseur hat in den letzten Jahren gemeinsam mit Autor Holger Karsten Schmidt für diverse schwarzhumorige Krimis gesorgt ("Mörder auf Amrum"). Da Engels’ Schöpfung viele Millionen wert ist, gerät nun sein Kompagnon (Constantin von Jascheroff) ins Visier der Ermittler, denn der will die Erfindung an einen der Konzerne aus dem Silicon Valley verkaufen. Engels wiederum war überzeugt, dass die Drahtzieher der weltumspannenden Netzwerke ihm nach dem Leben trachten.

Neben den vielen ungewöhnlichen Drehbucheinfällen sorgt nicht zuletzt die Bildgestaltung (Martin Langer) dafür, dass "Wendehammer" von Anfang an mehr ist als bloß ein Nachbarschaftskrimi. Das beginnt mit den Aufnahmen aus den vielen Überwachungskameras, deren Bilder Engels wie ein Dr. Mabuse an seiner Monitorwand verfolgt. Noch deutlicher aber wird die digitale Ebene durch kurze Einschübe, die zunächst wie Fremdkörper wirken, weil die Blickperspektive des Mannes an Passagen aus Science-Fiction-Filmen erinnern, in denen Cyborgs oder machtgierige Computer ihr Unwesen treiben; der Begriff "subjektive Kamera" bekommt auf diese Weise eine ganz neue Bedeutung. Am Ende dreht die Geschichte dann ein bisschen ab. Nach Engels’ Tod droht zumindest Frankfurt ins Chaos zu stürzen, und aus dem kleinen Nachbarschaftskrimi wird vorübergehend ein Katastrophenfilm. Der Schluss schließlich sorgt zwar für einen echten Knalleffekt, wirkt jedoch in jeder Hinsicht aus der Luft gegriffen. Aber vielleicht ist er auch nur ein augenzwinkernder Gruß an jene Verschwörungstheoretiker, die Google, Facebook und Co. längst für die Herren der Welt halten.