Türkischer Journalist: EU steht auf der falschen Seite

Türkischer Journalist: EU steht auf der falschen Seite
Der türkische Journalist Can Dündar hat an die europäischen Regierungen appelliert, sich aus der Abhängigkeit vom türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan und der Regierungspartei AKP zu lösen.

Frankfurt a.M. (epd). "Ihr verliert den Verbündeten Türkei an eine entfernte Ecke der Welt, und ihr werdet einen hohen Preis dafür zahlen", sagte der ehemalige Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung "Cumhuriyet" am Donnerstag auf der Frankfurter Buchmesse. Der 55-Jährige Politikwissenschaftler und Buchautor ("Lebenslang für die Wahrheit") wurde im Mai wegen Geheimnisverrats zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt und floh im Juli ins Ausland.

Europäische Regierungen hätten sich entschieden

Derzeit gebe es in seiner Heimat ein erbittertes Tauziehen zwischen einer "starken und brutalen Macht", die das Land nach Osten ausrichten wolle, und demokratischen Kräften, die nach Westen strebten, sagte Dündar bei einer Podiumsdiskussion des PEN-Zentrums Deutschland. Leider hätten sich die europäischen Regierungen auf die falsche Seite geschlagen: "Ihre Aufgabe wäre es vielmehr, die andere Hälfte der Bevölkerung, die moderne, demokratische Türkei, Universitäten, Gewerkschaften und zivilgesellschaftliche Gruppen zu unterstützen."

Der Türkei-Korrespondent der WeltN24-Gruppe, Deniz Yücel, rief die europäischen Regierungen auf, die Einreisebestimmungen zu lockern. Nicht nur Medienschaffende und Künstler, sondern auch viele junge und hoch qualifizierte Türken wollten weg aus einem Land, in dem Demokratie und Rechtsstaatlichkeit mit Füßen getreten würden. "Die Deutschkurse in den Goethe-Instituten sind vollständig ausgebucht", sagte der türkische Staatsbürger Yücel, der seit Mai 2015 in Istanbul arbeitet.

Die Generalsekretärin des PEN, Regula Venske, sagte, die Lage in der Türkei nach dem Putschversuch vom Juli sei nach wie vor angespannt. Mindestens 140 Medienhäuser seien geschlossen worden, darunter 30 Buchverlage. Mehr als 130 Autoren und Journalisten säßen momentan in Gefängnissen. Um Platz zu schaffen, würden derzeit 180 Anstalten neu gebaut und viele Kriminelle aus der Haft entlassen.

Flüchtlinge würden ferngehalten

PEN-Präsident Josef Haslinger appellierte an die Bundesregierung und die Europäische Union, "legale Wege der Einwanderung nach Europa" zu schaffen. Derzeit benutze die europäische Politik die Türkei als "Wachhund", um Millionen Flüchtlinge fernzuhalten. Das widerspreche aber den europäischen Werten, sagte er.

Dündar erhält am 17. November in Darmstadt zusammen mit seinem Kollegen Erdem Gül den Hermann-Kesten-Preis des PEN-Zentrums Deutschland. Jüngst wurde der ehemalige "Cumhuriyet"-Chefredakteur vom Verband Deutscher Zeitschriftenverleger mit der "Goldenen Victoria für die Pressefreiheit" und von der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig mit ihrem Medienpreis ausgezeichnet.